Schüler beim Lösen einer Aufgabe im Zoo von Santiago de Chile
© Peter Dollinger, Zoo Office Bern
Das Übereinkommen über die Biologische Vielfalt
Dass man nur schützen, nachhaltig nutzen und erhalten kann, was man kennt, ist eigentlich eine Binsenwahrheit. Das 1992 abgeschlossenen Übereinkommen über die Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) verpflichtet deshalb in seinem Artikel 12 die Vertragsstaaten, Programme der wissenschaftlichen und technischen Bildung und Ausbildung in der Bestimmung, Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt und ihrer Bestandteile einzurichten beziehungsweise weiterzuführen.
Wie dies umzusetzen ist, ergibt sich aus Kapitel 36 der ebenfalls 1992 angenommenen Agenda 21 der Vereinten Nationen. Danach soll die Bildung auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet und soll das Bewusstsein für die Belange der Artenvielfalt gefördert werden. Zu diesem Zweck sollten die Länder je nach Bedarf unter Nutzung von Museen, Naturerbe-Gebieten, Zoos, botanischen Gärten, Nationalparks und sonstigen Schutzgebieten umweltverträgliche Freizeit- und Fremdenverkehrsaktivitäten fördern (36.9; 36.10).
Formale Umsetzung im deutschsprachigen Raum
Die Bundesrepublik Deutschland ist seit dem 21. Dezember 1993, Österreich seit dem 16. November 1994 und die Schweiz seit dem 19. Februar 1995 Vertragsstaat der CBD. Die drei Länder müssten also dafür sorgen, dass die Artenkenntnis bei der Bevölkerung erhalten bleibt. Deutschland und Österreich haben in Umsetzung der EU-Zoo-Richtlinie den Zoos die Verpflichtung auferlegt, die Aufklärung und das Bewusstsein der Öffentlichkeit in bezug auf den Erhalt der biologischen Vielfalt, insbesondere durch Informationen über die zur Schau gestellten Arten und ihre natürlichen Lebensräume zu fördern (ohne sich darum zu kümmern, wie die Zoos dies finanzieren sollen). Dies ist auf Landesebene umzusetzen. So hat z.B. das Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen Richtlinien zur Umsetzung des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung herausgegeben, in denen die Zoologischen Gärten des Landes und deren Zooschulen eine bedeutende Rolle spielen, nicht nur als Orte, wo Artenvielfalt hautnah erlebt werden kann, sondern zum Beispiel auch dadurch, dass sie Konzepte entwickeln, mit deren Hilfe die Handlungsbereitschaft und Handlungskompetenz der Schüler für den Natur- und Umweltschutz gefördert wird. Dasselbe gilt für das Land Baden-Württemberg, wo die Tiergärten von Stuttgart, Karlsruhe und Heidelberg und deren Zooschulen in die Agenda 21 eingebunden wurden. In Niedersachsen gelten die Zooschule Hannover und jene des Wisentgeheges Springe als Regionale Umweltbildungszentren (RUZ) für den Regierungsbezirk Hannover. Und so weiter. Die Beispiele liessen sich wohl beliebig vermehren.
In der Schweiz gibt es keine der Zoo-Richtlinie entsprechende Regelung. Wie ignorant die Behörden bezüglich der edukativen Rolle der Zoos sind, wird drastisch dadurch belegt, dass 2020 im Zuge der Aufhebung der Einschränkungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie die Museen am 11. Mai wieder öffnen durften, die Zoos aber erst einen Monat später, gleichzeitig mit Nachtklubs, Bars, Bordellen und anderen Vergnügungseinrichtungen ...
Artenkenntnis im öffentlichen Bildungsangebot
Generell tun die drei Länder herzlich wenig dafür, dass die Artenkenntnis ihren Platz im Bildungsangebot finden:
In der Regel ist das Fach "Naturkunde" in breiter gefassten Fächern, wie "Mensch und Umwelt" oder "Natur, Mensch, Gesellschaft" aufgegangen, in denen kaum Raum bleibt, um Artenkenntnisse zu vermitteln. So sieht z.B. der Lehrplan für die Polytechnische Schule in Österreich [5] für das Fach "Naturkunde, Ökologie und Gesundheitslehre" gerade mal eine Wochenstunde vor, in der folgendes Wissen vermittelt werden soll: Energieträger in Haushalt und Wirtschaft, Elektrizität, Technik, Wohnen, Lebensraum (mit den Themen Wasser, Luft, Boden, Klima, Vegetation, ökologisches Wirkungsgefüge, Auswirkungen menschlicher Eingriffe, Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichtes, Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion) sowie Gesundheitslehre.
Wie FROBEL & SCHLUMPRECHT [4] in ihrem Gutachten "Erosion der Artenkenner" festhalten, vollzieht sich innerhalb des breitgefächerten ehrenamtlichen Engagements für Natur- und Umweltschutz bei den Menschen, die sich durch besondere Kenntnis von Tier- und Pflanzenarten auszeichnen („Artenkenner“), eine tiefgreifende Änderung: eine standardisierte Befragung von 70 Sachverständigen, die selbst im Bereich der Beschaffung von Grundlagen für den Naturschutz tätig sind, ergab einen deutlichen Rückgang der Artenkenner im jeweiligen persönlichen Umfeld um 21 % in den letzten 20 Jahren. Praktisch alle Befragten sahen das Problem des Rückgangs von Artenkennern. Dies spricht eindeutig für die Existenz eines generellen Problems, das für die Zukunft des Naturschutzes höchste Relevanz hat. Dies insbesondere, weil nur ein geringer Prozentsatz der derzeitigen Artenkenner unter 30 Jahre alt und vor allem über 60-Jährige noch aktiv sind, die aber altersbedingt bald ausfallen werden. Aufgrund der verschlechterte Rahmenbedingungen ist in den kommenden Jahren kein nennenswerter Nachwuchs zu erwarten. Daher ist für die nächsten 10 bis 20 Jahre von einem drastischen Rückgang der Anzahl von Artenkennern auszugehen, falls nicht rasch Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Dies entspricht offenbar auch dem Empfinden der Bevölkerung: Im Rahmen einer vom Verband der Zoologischen Gärten in Auftrag gegebene FORSA-Umfrage aus dem Jahr 2020 befürworteten 84% der Befragten, dass regelmäßige Zoobesuche Bestandteil des Schulunterrichts sein sollten [3].
Funktioniert Bildung zu Wildtieren im Zoo?
Von Tierrechtlern und Zoogegnern wird oft bestritten, dass die Besucher im Zoo überhaupt etwas lernen. Dem widerspricht die bereits genannte FORSA-Umfrage aus dem Jahr 2020 [3]. In deren Rahmen haben in Deutschland 11% der Befragten angegeben, dass sie anlässlich eines Zoobesuchs sehr viel gelernt hätten. 58% haben viel, 28% nicht so viel gelernt. Nur 2% gaben an, nichts gelernt zu haben. 73% fanden das Informationsangebot ausreichend, für 23% könnte es noch mehr Angebote geben.
Von Zookritikern wird auch immer wieder die Meinung vertreten, Medien könnten ähnliche Aufgaben übernehmen, um Bildung zu Wildtieren zu vermitteln. Auf die Frage „Bietet eine gute Tierdokumentation bzw. eine guter Tierfilm dieselbe Erfahrung mit Tieren wie ein Zoobesuch?“ antworteten allerdings fast zwei Drittel (65%) mit „Nein“. Weniger als ein Drittel (31%) der Deutschen würde nach ihrer Meinung dazu einen guten Tierfilm als gleichwertigen Ersatz ansehen. Noch deutlicher fällt die Ablehnung bei Virtual-Reality-Zoos aus. Bei der Frage „Würde ein Virtual-Reality-Zoo aus Ihrer Sicht dieselbe Erfahrung bieten wie ein Besuch in einem ‚echten‘ Zoo?“ antworteten 68% mit „Nein“; lediglich für 19 % wäre die VR-Technologie ein guter Ersatz.
Um die Bildungsfunktion der Zoos auf einem hohen Stand zu halten und laufend zu verbessern, haben sich die deutschsprachigen Zoopädagogen bereits 1995 zu einem Verband (VZP) zusammengeschlossen, der sich für die Verankerung der Zoopädagogik in Richtlinien, Lehrplänen und Ausbildungsordnungen einsetzt, um die Bildungs- und Erziehungsarbeit am Lernort Zoo zu sichern, und der auf die Fort- und Weiterbildung seiner Mitglieder in Form von Tagungen und Weiterbildungsveranstaltungen zur Vertiefung ihrer beruflichen Kompetenzen großen Wert legt [7].
Der Deutschen Wildgehege-Verband e.V. hat ein deutschlandweites Zertifizierungsverfahrens für Bildung für nachhaltige Entwicklung [BnE] in Zoos, Tierparks und Wildgehegen eingeführt. Er bietet Seminare an, deren Lernangebote darauf ausgerichtet sind, dass die teilnehmende Parks zu Wissen und Handlungskompetenz erwerben, um sich in der eigenen Einrichtung möglichst individuell weiterzuentwickeln.
Zooschulen
Es gibt zweifellos unterschiedliche Ansätze, um der Verpflichtung der Biodiversitätskonvention nachzuleben. Zooschulen mit ihrem Angebot zur unmittelbaren Naturerfahrung sind grundsätzlich hervorragend geeignet, Wissen über die Artenvielfalt zu vermitteln und zu einer Sensibilisierung für Fragen der Gefährdung von Arten, Natur und Umwelt, des Naturschutzes sowie der nachhaltigen Nutzung erneuerbarer Ressourcen beizutragen, umso mehr, je vielfältiger und besser präsentiert der Tierbestand eines Zoos ist. Die Artenvielfalt hat zwar in den größeren Zoos im deutschsprachigen Raum von 1968-2008 im Mittel um etwa 40% abgenommen [1], dafür werden die verbleibenden Arten zoopädagogisch intensiver genutzt. 88% der Mitgliedzoos des Verbands der Zoologischen Gärten verfügen über eine eigene Zooschule. Laut einer Bildungsstudie des Verbands nahmen 2018 mindestens 1.2 Millionen Menschen aus allen Gesellschafts- und Altersschichten an über 171.000 speziellen und zielgruppenspezifischen Bildungsprogrammen teil [6].
Gehegeschilder
Eine zweckdienliche, informative Beschriftung ist Teil des Leistungsauftrags der Zoos, der sich aus der Zoo-Richtlinie der EU ergibt [2].
Die Zoopädagogische Abteilung ist in der Regel auch für die Beschilderung im Zoo verantwortlich. Dazu gehören Namensschilder, erweiterte Informationen zu den einzelnen Tierarten, interaktive Elemente, Thementafeln, Informationstafeln und Wegweiser, Warn-, Verbots- und Gebotsschilder. In den meisten Zoos werden die Gehegeschilder periodisch ergänzt oder überarbeitet.
Auch im Falle der Namenschilder war der Begründer der Tiergartenbiologie, Heini HEDIGER ein Pionier: Er erfand und führte in den von ihm geleiteten Zoos standardisierte Metallkästchen mit Glasfront und vier auswechselbaren Elementen für Tiernamen, Abbildung, Text und Verbreitungskarte ein, die eine rasche und preisgünstige Aktualisierung ermöglichten und daher von vielen anderen Zoos übernommen wurden. Computer und moderne Drucktechniken eröffnen heute den Zoos vielfältige andere Möglichkeiten, Informationen an die Besucher zu bringen, aber die HEDIGER-Schilder sind manchenorts immer noch im Einsatz.
Powerpoint-Präsentation Gehegeschilder
Zooführer, Internetseiten und Apps
Früher spielten gedruckte Zooführer mit Informationen zu den gezeigten Arten eine wichtige Rolle für die Verbreitung der Artenkenntnis. Dies ist als Folge der Nutzung digitaler Medien heute weniger der Fall. Mittels Internetseiten und Zoo-Apps können Zoos das interessierte Publikum auch außerhalb der eigenenen Institution erreichen oder den Zoobesuch lehrreicher gestalten. So gut wie alle größeren Einrichtungen verfügen über einen Internetauftritt, in dessen Rahmen meistens die gezeigten Tierarten mittels selbst redigierter Datenblätter oder durch einen Link zum Zootier-Lexikon vorgestellt werden. Die Verwendung von Zoo-Apps ist etwas umstritten. Einerseits besteht zweifellos bei Teilen des Publikums ein entsprechende Bedürfnis, was man etwa aus der Tatsache ableiten kann, dass gegen 60% der Besuche des Zootier-Lexikons von mobilen Endgeräten aus erfolgen. Andererseits stellen sich manche Zoos auf den Standpunkt, es sei wenig sinnvoll, wenn die Besucher mit auf das Handy gerichtetem Blick durch den Zoo laufen, anstatt sich den Tieren und den mit ihnen analog angebotenen Informationen zuzuwenden.
Literatur und Internetquellen:
- DOLLINGER, P. (Hrsg., 2010)
- DOLLINGER, P. (2011) Präsentation Gehegeschilder
- FORSA-STUDIE: DIE DEUTSCHEN UND IHRE ZOOS
- FROBEL, K. & SCHLUMPRECHT, H. (2014)
- LEHRPLAN POLYTECHNISCHE SCHULE ÖSTERREICH (PDF - nicht mehr verfügbar)
- VDZ - LERNORT ZOO
- VZP - VERBAND DEUTSCHSPRACHIGER ZOOPÄDAGOGEN
Zurück zu Einleitung
Weiter zu Offener Brief an Volker Sommer