Ethophysiologische Untersuchung zu haltungsbedingten Einflüssen auf das Verhalten und die Stresssituation von Westlichen Flachlandgorillas> (Gorilla g. gorilla), Sumatra Orang-Utans (Pongo abelii) und Bonobos> (Pan paniscus) unter Zoobedingungen.
Dissertation
544 Seiten, Tabellen, 390 Abbildungen, 3 Anhänge
Institut für Tierphysiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (Betreuer: Prof. Dr. W. Clauss), und
Zoologischer Garten Frankfurt (Direktor: Prof. Dr. M. Niekisch)
Zusammenfassung:
Im Lauf der vergangenen Jahrzehnte hat sich die Einstellung des Menschen gegenüber der Haltung exotischer Tiere dahingehend gewandelt, dass diese nicht mehr zur reinen Belustigung und dem Wohlbefinden des Menschen dienen sollen. Vielmehr steht heute das Wohlbefinden der Tiere in einem für sie adäquaten Haltungssystem im Vordergrund. Die Bewertung von Haltungssystemen und die Beurteilung des Wohlbefindens der Tiere spielen eine immer bedeutungsvollere Rolle. Die Tiere im Zoo sollen sich möglichst natürlich verhalten, was aufgrund der Haltung in mancher Hinsicht jedoch nicht bewerkstelligt werden kann. Um einer Routine und Verhaltensauffälligkeiten entgegenzuwirken, wird in den meisten Zoos eine Tierbeschäftigung – das Environmental Enrichment durchgeführt. Um das Wohlbefinden der Tiere beurteilen zu können sind reine Verhaltensbeobachtungen unter Umständen nicht ausreichend und endokrine Aspekte können diese vervollständigen. Die vorliegende Studie behandelt den Einfluss der Haltungsbedingungen und der Beschäftigung auf das Tages- und Sozialverhalten von Westlichen Flachlandgorillas, Bonobos und Sumatra Orang-Utans. Zur Unterstützung der gewonnen Verhaltensdaten wurden Speichelproben gesammelt und hinsichtlich ihrer immunreaktiven Cortisolkonzentration ausgewertet.
Ziel der Studie war es, Verhaltensänderungen nach dem Transfer von alten in ein neues Gehege oder nach Einbringen von Beschäftigungen im Zoo Frankfurt, zu dokumentieren und mithilfe der Speichelproben bewerten zu können. Für die Nutzung der Speichelproben wurde in dieser Untersuchung eine chemische und eine biologische Validierung für die Analyse von Cortisol und Cortison im Speichel der drei gehaltenen Menschenaffenarten ermöglicht.
Verhaltensweisen und Speichelproben wurden von den drei im Zoo Frankfurt gehaltenen Menschenaffenarten dokumentiert und gesammelt und mit dem bisherigen Wissenstand von Freiland- und Zoo-Publikationen abgeglichen. Der gesamte Beobachtungszeitraum wurde in vier Phasen, bei den Gorillas in fünf Phasen, aufgeteilt. Es wurden die Verhaltensweisen und immunreaktiven Cortisolkonzentrationen im alten Menschenaffenhaus, mit der Zeit vor dem Umzug, dem Umzug selbst und im neunen Menschenaffenhaus verglichen. Hinzu kam ein Vergleich von einem Zeitraum mit und ohne Beschäftigung im alten Menschenaffenhaus. Bei den Gorillas wurde als fünfter Zeitraum die Integration eines Schwarzrückens, nach dem Tod des Silberrückens, in die bestehende Gorilla-Gruppe, aufgenommen.
Die Resultate ergaben, dass sich die Verhaltensweisen aller drei Menschenaffenarten in den gebildeten Phasen unterschieden. In Verbindung mit dem Umzug konnte eine engere Gruppenbindung bei den Gorillas und Bonobos nachgewiesen werden, bei den Gorillas war dies außerdem bei der Integration des jungen Männchens beobachtet worden. Des Weiteren förderte das neue Gehege bei allen drei Arten das Erkundungsverhalten. Auf das Spielverhalten wirkten sich sowohl der Umzug bei allen drei Arten wie auch die Integration des Schwarzrückens bei den Gorillas negativ aus. Jedoch hielt diese Reduktion des Spielens nur über einen kurzen Zeitraum an. Für die Sumatra Orang-Utan Gruppe konnten die meisten positiven Verhaltensänderungen dokumentiert werden. Das neue Gehege bot ein größeres Raumangebot und vor allem auch eine auf die Höhe ausgelegte Kletterstruktur. Aufgrund dessen hielten sich die Tiere weniger am Boden auf, wie es für diese Art typisch ist. Außerdem konnten die Orang-Utans den unmittelbaren Kontakt mit Artgenossen vermeiden, was zu einer Reduktion von Auseinandersetzungen führte. Bei der Gorilla-Gruppe führte der Umzug, das Verscheiden des Silberrückens und die Integration eines neuen Männchens zu einer stetigen Veränderung. In diesem Kontext konnte auch eine ungewöhnliche hohe Aktivität bei den Gorillas nachgewiesen werden.
Ein weiterer Aspekt der Studie hatte sich auf die Beschäftigung der drei Menschenaffenarten konzentriert. Alle drei getesteten Beschäftigungsvarianten waren von den Menschenaffen angenommen worden. Dabei konnten inter- als auch intraartliche Präferenzen festgestellt werden. Diese hingen auch unter anderem vom Alter des jeweiligen Tieres ab. Ein Ergebnis war, dass neben besonders leckeren großen Futtermitteln auch kleinere Nahrungsmittel in den Beschäftigungen anzubieten waren, um den Anreiz über einen längeren Zeitraum konstant zu halten. Die Bonobos bevorzugten die Tennisbälle und die Gorillas die Beschäftigung mit dem Kistensystem. Die Orang-Utans waren die Art mit der geringsten Präferenzausprägung und den meisten verschiedenen Herangehensweisen an die angebotenen Beschäftigungen. Im Zusammenhang mit der Beschäftigungsvariante Kistensystem 1 konnte bei allen drei Arten der Einsatz von Werkzeugen nachgewiesen werden.
Ein dritter Aspekt wurde durch die Messung von Cortisol und Cortison im Speichel der drei Menschenaffenarten gebildet. Im Rahmen dieser Untersuchung konnte sowohl eine chemische als auch eine biologische Validierung durchgeführt werden. Die Ergebnisse zeigten, dass es artspezifische Unterschiede gab. Auch führten unterschiedliche Stressparameter bei den Tieren zu erhöhten immunreaktiven Cortisolkonzentrationen. Bei allen drei Arten wurde ein circadianer Rhythmus für das immunreaktive Cortisol im Speichel nachgewiesen. Die gemessenen Cortisolkonzentrationen gingen mit aufgezeichneten Stressverhaltensweisen einher, und konnten daher zur Bewertung der Stresssituation der untersuchten Menschenaffen herangezogen werden. Außerdem wurde ebenfalls bei allen drei Arten eine deutlich höhere Menge von Cortison als Cortisol im Speichel gefunden, wie auch eine Korrelation der beiden Hormone.
Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, wie unterschiedlich die drei Menschenaffenarten auf Veränderungen in ihrer unmittelbaren Umwelt reagieren. Die Studie könnte Impulse liefern, welche Gehegestrukturen von Vorteil für die Tiere sind und welche Besonderheiten bedacht werden sollten. Die Sammlung von Speichelproben kann nicht auf Untersuchungen im Feld übertragen werden, jedoch können Einblicke in das Wohlbefinden der Tiere gewonnen werden.
Summary:
In the last decades the keeping of exotic animals had changed. Zoological parks were initially built to suit human needs. Focus nowadays is on the welfare and the keeping conditions of animals. The evaluation of welfare and keeping becomes more and more important. Animals should behave as naturally as possible, but in zoos a lot of animal times is spent in routines. Environmental enrichment can be used to prevent routines and abnormal behavior and to improve welfare. To measure the welfare of the animal collecting behavioral data is often not enough and endocrine measurements can be used to complement them.
The main aspects of this study were to find out, if keeping conditions and enrichment influenced the daily- and social behavior of western lowland gorillas, Sumatran orangutans and bonobos. To support the behavioral data, saliva samples were collected and analyzed for immunoreactive Cortisol concentration. Behaviour and saliva samples were collected in different but enriched environments: the new and the old great ape house Frankfurt Zoo. Furthermore, a chemical as well as a biological validation for cortisol and cortisone in the saliva of these three apes species was conducted. Behavioral data as well as saliva were sampled in three ape species and examined in the light of the existing literature whether on captive groups or from wild animals. The observation time was divided in four parts for orangutans and bonobos, and in five parts for the gorillas. Behavioral data and saliva samples were sampled at the old great ape house, without enrichment and then with enriched condition, during the transfer and in the new great ape house. For the gorilla-group a fifth phase was established during the integration of a blackback male after the death of a silverback in the existing group.
The results of this study suggest that the behavior of all three species was influenced by the four holding conditions. An increase of group cohesion was found in gorillas and bonobos during and after the transfer. Also a strong group cohesion was documented for the gorillas during the integration of the new male. Moreover an increase in the exploration behavior was observed in the new environment for all three species. Also in all three species the play behavior decreased for a short period of time after the transfer. In gorillas the same decrease in play behavior was seen after the integration of the blackback male. The most changes in positive behavior were observed in the Sumatran orangutan group. In the new environment more space was available and a high climbing structure was provided. In the new enclosure, orangutans were less often on the ground as seen in wild animals. They avoided close contact with other group members, and a decrease in aggression behavior was observed. The behavior of the gorilla group was unstable, due to the transfer, the dead of the silverback and the integration of the new male. During this time the activity of all gorillas increased.
Another aspect of this study was the environmental enrichment. All three enrichments were used in every species. Inter- and intraspecific differences were found. Most often it depended on the age of the animal. One important result for a longer use of the enrichment was that beside from the main food pieces small food pieces should also be provided. The bonobos preferred the tennis balls and the gorillas the box puzzle feeder (K1). For orangutans no preference was found but they exhibited more diversity in the way they used enrichments. For all three species the box puzzle feeder provoked tool use abilities.
The third aspect was the measurement of cortisol and cortisone in the saliva of the three species. A chemical as well as a biological validation was conducted. The results of the hormones showed species-specific differences. Also different stress responses to events were found. In all three species a circadian rhythm was detected. Furthermore, the cortisol concentration correlated with the behavioral data. In all species a higher amount of cortisone than cortisol was found in saliva. And there was a correlation between cortisone and cortisol’s concentrations.
The study showed how the environment could influence the behavior of great apes in keeping conditions. The results could be used as advice for enclosure structure or enrichment options. The saliva measurement may not be used directly in field studies but remains complementary to understand and improve the welfare of zoo kept animals.
25.07.2014
Ergänzende Publikation:
Behringer, V. (2013)
Messung von alpha Amylase und Cortisol im Speichel von nicht menschlichen Primaten zum Vergleich von verschiedenen Arten und Geschlechtsunterschieden innerhalb einer Art.
Measurements of salivary alpha amylase and salivary cortisol in hominoid primates to compare within-species consistency and between-species differences
Research project im Rahmen eines Postdocs Projektes = resultierte in einer Publiaktion
Behringer V, Borchers C, Deschner T, Mo¨ stl E, Selzer D, et al. (2013) Measurements of Salivary Alpha Amylase and Salivary Cortisol in Hominoid Primates Reveal Within-Species Consistency and Between-Species Differences. PLoS ONE 8(4): e60773. doi:10.1371/journal.pone.0060773 8 Seiten, 7 Tabellen, 2 Abbildungen
1 Department of Primatology, Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology, Leipzig, Germany, 2 Department of Biomedical Sciences / Biochemistry, University of Veterinary Medicine, Vienna, Austria, 3 Working Group for Wildlife Biology, Justus- Liebig-University Gießen, Gießen, Germany
Zoo Nordhorn
Zusammenfassung:
Das häufigste Enzym im Speichel ist die alpha amylase (sAA). Beim Menschen konnte gezeigt werden, dass sie enzymatische Aktivität variierte in Abhängigkeit von der Anzahl der Loki für Speichelamylase (AM1), welches wiederrum auf die Menge an Stärke zurückgeführt werden konnte, welche von den Menschen konsumiert wird. Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass die sAA Aktivität sich mit dem
sozialen Stress veränderte. Auch bei einer dem Menschen nahen verwandten Art, dem Bonobo, konnten wir in einer vorangegangenen Studie einen solchen Zusammenhang nachweisen. In dieser Studie untersuchten wir die sAA Aktivität in Bonobos, Schimpansen, Gorillas und Orangutans um zu erforschen (a) ob die Variation die wir in der sAA Aktivität der Bonobos gefunden hatten typisch ist für
nicht menschliche Primaten, und (b) ob es Unterschiede in der sAA Aktivität zwischen den Arten gibt. Die Ergebnisse zeigten, dass Gorillas und Orangutans eine höhere sAA Aktivität haben als die beiden Pan Arten. Um zu beurteilen welchen Effekt Stress auf die sAA Aktivität hat, wurde in den Speichelproben auch das Cortisol gemessen. Orangutans und Gorillas hatten die niedrigsten Speichelcortisolkonzentrationen, und die höchsten Werte wurden im Speichel männlicher Bonobos nachgewiesen, die Gruppe, die auch die höchste sAA Aktivität aufwies. Unter Berücksichtigung bereits publizierter Ergebnisse, bestätigen unsere Ergebnisse, dass die sAA Aktivität mit der Anzahl der AMY1 Genabschnitte und der natürlichen Ernährung der einzelnen Arten korrespondiert. Studien mit sAA Aktivität
haben das Potential molekulare Untersuchungen zu komplementieren und vielleicht können sie auch die Erforschung der Nahrung und Ernährung unterstützen.
Summary:
Salivary alpha amylase (sAA) is the most abundant enzyme in saliva. Studies in humans found variation in enzymatic activity of sAA across populations that could be linked to the copy number of loci for salivary amylase (AMY1), which was seen as an adaptive response to the intake of dietary starch. In addition to diet dependent variation, differences in sAA activity have been related to social stress. In a previous study, we found evidence for stress-induced variation in sAA activity in the bonobos, a hominoid primate that is closely related to humans. In this study, we explored patterns of variation in sAA activity in bonobos and three other hominoid primates, chimpanzee, gorilla, and orangutan to (a) examine if within-species differences in sAA activity found in bonobos are characteristic for hominoids and (b) assess the extent of variation in sAA activity between different species. The results revealed species-differences in sAA activity with gorillas and orangutans having higher basal sAA activity when compared to Pan. To assess the impact of stress, sAA values were related to cortisol levels measured in the same saliva samples. Gorillas and orangutans had low salivary cortisol concentrations and the highest cortisol
concentration was found in samples from male bonobos, the group that also showed the highest sAA activity. Considering published information, the differences in sAA activity correspond with differences in AMY1 copy numbers and match with general features of natural diet. Studies on sAA activity have the potential to complementmolecular studies and may contribute to research on feeding ecology and nutrition.
behringer-biblio