Anatomie des Lokomotionsapparates von Cryptoprocta ferox (Viverridae, Ord.: Carnivora) unter biomechanischen Aspekten.
Diplomarbeit
261 Seite
Zoologisches Institut, Universität Karlsruhe
Leitung: Prof. Dr. Norbert Rieder
Zoo Duisburg
Zusammenfassung:
Verschiedene Autoren haben immer wieder die Katzenähnlichkeit der Fossa betont, und dargestellt, dass Cryptoprocta eine Zwischenform zwischen dem grundlegenden, urtümlichen Carnivorenbauplan, den die Ginsterkatzen repräsentieren, und dem moderneren Katzenbauplan sei, oder eine Primitivform der Katzen. Dies wurde u.a. an der Gebissformel festgemacht (Fossa: 32 Zähne im Vergleich zu den anderen Viverriden mit 44 Zähnen; die meisten Katzen besitzen nur noch 30 Zähne) (MACDONALD 1995). Andere Autoren jedoch wiesen an den Drüsen und den Zähnen viverridentypische Merkmale nach (nach GRZIMEK 1988).
Wie in dieser Arbeit im Kapitel zur Anatomie gezeigt wurde, stimmen tatsächlich viele der Konstruktionseigenschaften der Fossa mit denen der typischen Feliden überein (als Beschleunigungsspezialisten), doch ist dies auf eine ähnliche Spezialisation der Konstruktionen auf Beschleunigung und Ausnutzung der elastischen Wirbelsäule zurückzuführen, die sich in den anatomischen Merkmalen äußern, und nicht auf gemeinsame Ursprünge.
Gemeinsame Merkmale mit den Feliden sind beispielsweise: das fehlende Nuchalligament, das fehlende Sacrotuberalligament, die starke Muskularisierung des Lokomotionsapparates, und die größeren Freiheitsgrade der Bewegungen, darüber hinaus auch z.B. der einheitliche M. sartorius und das Auftreten eines M. soleus. Doch die Fossa besitzt auch viele arteigene oder viverridentypische Konstruktionseigenschaften: die lange Rumpfwirbelsäule ist mit einer starken Kyphose verbunden, und es treten viele Adaptionen an die kletternde Jagd- und Lebensweise auf, wie der semiplantigrade (bedingt plantigrade) Vorderfuß mit 5 langen Zehen. Wie man bei der Durchsicht der Ergebnisse zur Analyse des Tragsystems der Wirbelsäule erkennt, sind an der Wirbelsäulenkonstruktion der Fossa keine hochspeziellen Vorrichtungen zu finden, sondern lediglich geringe Abweichungen und Modifikationen der Bauweise anderer Carnivoren. Insgesamt hat die Konstruktion der Fossa viele Parallelen bzw. Ähnlichkeiten zur Bauweise der typischen Katze, wenn auch die Kyphose bei der Fossa viel stärker auffällt und die Vorderbeine verkürzter sind. Darüber hinaus ist auch die Bauchmuskulatur straffer als bei der Katze. Auch die Gangarten unterscheiden sich geringfügig von denen der "typischen" Katzenkonstruktion, da die Fossa im Besonderen auch den Trab und das Vertical Looping beherrscht.
Gemeinsame Merkmale mit anderen Viverriden wie beispielsweise Genetta spec. oder Ichneumon albicauda (TAYLOR 1976) sind der M. glutaeofemoralis profundus (der exklusiv bei Viverriden, zumindest bei Genetta genetta und einigen anderen, auftritt), die lange Wirbelsäule, die relativ kürzeren Vorderbeine sowie das Auftreten des M. soleus. Anhand der auftretenden besonderen Muskel- und Skeletteigenschaften lässt sich die Fossa im Rahmen der Konstruktionsanalyse eindeutig dem Viverriden-Konstruktionstypus bzw. den Viverriden zuordnen.
Sogar einige gemeinsame Merkmale mit den Hyaenidae (SPOOR, BADOUX, 1986, 1989) treten auf: auch bei ihnen fehlt das Nuchalligament, und beispielsweise sind die ventralen äußerlichen Halsmuskeln stark verschmolzen. Gemeinsame Merkmale mit den Konstruktionseigenschaften der Musteliden sind beispielsweise der plantigrade Vorderfuß und die Reduktion der Interspinalligamente bei gleichzeitiger Verstärkung der Interspinalmuskulatur zur Flexibilisierung der Wirbelsäule (Martes). Die Reduktion der Interspinalligamente geht bei Cryptoprocta aber nicht ganz so weit und ist gleichzeitig auch mit einer Verstärkung der Aponeurosen der Interspinalmuskeln verbunden, was in Anbetracht der Körpergröße und des -gewichtsbei der Fossa verständlich wird.
Insgesamt ähnelt die Konstruktion von Cryptoprocta ferox sowohl dem Feliden- als auch dem Musteliden-Bauplan, dabei sind aber viele der Eigenschaften des Tragsystems besonders aufeinander abgestimmt und optimiert, v.a. im Zusammenhang mit der langen Wirbelsäule, der Körpergröße und der kletternden Jagdweise, die mit großer Muskelkraft verbunden ist. Viele Eigenschaften der Fossa bedingen, dass sie Genetta spec. (Viverrinae) - unter den von TAYLOR (1974, 1976) untersuchten Viverriden- am ähnlichsten ist. Eine Entwicklung des Lokomotionsapparates von Cryptoprocta selbst zu einer typischen Katzenkonstruktion ist kaum zu erwarten, solange das Tier in seiner Nische weiter existieren kann, d.h. die Wälder und die typischen arborikolen Beutetiere erhalten bleiben, und die Konkurrenz mit ausgewilderten Hauskatzen und Haushunden klein bleibt. Bei der Gebiss- und Kiefer-Konstruktion wäre ein fortschreitender Umbildungsprozess zu einer noch katzenähnlicheren Kiefer-Konstruktion denkbar, da diese für das schnelle Töten der Beute am effektivsten ist. Zudem hat sich Cryptoprocta ferox, die etwa seit dem Tertiär vorhanden ist, seit dieser Zeit kaum verändert (PUSCHMANN 1989, SAVAGE 1978). Dies bestätigt die Annahme, dass die Konstruktionseigenschaften des Lokomotionsapparates der Fossa recht "zeitlos" bzw. erfolgreich genug sind, sofern sich das Tier in der geeigneten Umwelt aufhält. Da von den Viverriden aber oftmals von Geschlechtsdimorphismus oder –imitationen berichtet wird (MACDONALD 1995), sind (weitere) Veränderungsvorgänge in dieser Hinsicht denkbar.
jungnickel-biblio