Mittelamerikanisches Zweizehenfaultier (Choloepus hoffmanni) in der Auffang- und Pflegestation Aviarios del Caribe, Costa Rica
© Peter Dollinger, Zoo Office Bern
Klasse: Säugetiere (Mammalia)
Unterklasse: Höhere Säugetiere (Eutheria)
Überordnung:
Nebengelenktiere oder Zahnarme
Xenarthra (=Edentata) • The Xenarthrans • Les xénarthres
- Artenspektrum und innere Systematik
- Körperbau und Körperfunktionen
- Verbreitung
- Haltung im Zoo
- Taxonomie und Nomenklatur
- Literatur und Internetquellen
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Von Aussehen und Lebensweise her sind die Nebengelenktiere eine recht heterogene Gruppe altertümlicher, kleiner bis mittelgroßer Säugetiere, die wegen ihres bizarren Aussehens das Interesse des Zoopublikums finden und als typische Vertreter der südamerikanischen Fauna relativ oft gezeigt werden. Artenspektrum und innere SystematikZur Überordnung der Nebengelenktiere gehören zwei Ordnungen, die Gepanzerten Nebengelenktiere (Cingulata) mit einer Familie, 9 Gattungen und 20 oder 21 Arten, und die Zahnarmen (Pilosa) mit 3 oder 4 Familien, 5 Gattungen und 10 Arten. Von den insgesamt 30 Arten gelten 15 als nicht-gefährdet, 5 als potenziell gefährdet, 4 als gefährdet und eine als unmittelbar vom Aussterben bedroht. Wegen ungenügender Datenlage konnten 5 Arten nicht einer Gefährdungskategorie zugeordnet werden [1; 8]. Körperbau und KörperfunktionenDie Bezeichnung „Zahnlose“ oder „Zahnarme“ für die Nebengelenktiere ist insofern irreführend, als nur die Ameisenbären zahnlos sind. Andere Arten haben ein Gebiss, und die Zahl der Zähne kann sogar sehr groß sein. Da sich die drei Familien sehr unterschiedlich spezialisiert haben, findet man Gemeinsamkeiten vor allem beim Skelett. So zeigt der Schädel ursprüngliche Merkmale, die bei anderen Höheren Säugetieren fehlen. Die Zahl der Halswirbel beträgt nicht notwendigerweise 7, sondern variiert von 6-9. Die Brust- und Lendenwirbel weisen akzessorische Gelenkfortsätze auf (xenarthrale Gelenkung), daher die Bezeichnung "Nebengelenktiere". Die Kreuzwirbel sind zu einem Kreuzbein verwachsen. Alle Arten haben ein gering entwickeltes Großhirn mit schwacher Furchung, dafür aber ein großes Riechhirn. Bei den männlichen Tieren sind die Hoden bauchständig und ein Penisknochen fehlt. Die Weibchen haben eine einfache Gebärmutter (Uterus simplex), die kontinuierlich in die Vagina übergeht [2; 8]. Die kleinsten Gürteltiere sind die Gürtelmulle (Chlamyphorus spp.) mit einer Kopf-Rumpflänge von 12-15 cm, einer Schwanzlänge von 2.5-3.5 cm und einem Gewicht von etwa 90 g, das größte ist das Riesengürteltier (Priodontes maximus) Mit einer Kopf- Rumpflänge von bis zu einem Meter, einer Schwanzlänge von 50 cm und einem Gewicht von etwa 50 g. In Europa werden relativ kleine bis mittelgroße Arten gehalten, die etwa 1.5 – 6 kg schwer werden. Wichtigstes Kennzeichen der Gürteltiere ist ihr dermaler Knochenpanzer, über dem sich eine Hornschicht befindet, die teilweise mit Borsten besetzt ist. Der Panzer ist gegliedert in Kopf-, Schulter- und Kruppenschild sowie in 2-13 bewegliche Rückengürtel. Die Tiere haben meist 28-36, beim Riesengürteltier bis 100 gleichförmige Zähne. Gürteltiere sind kurzbeinige, vorwiegend nachtaktive Allesfresser, teils terrestrisch gehend, teils unterirdisch grabend. Die Jungen werden in einer Nesthöhle abgelegt und solange sie klein sind, bei Bedarf mit dem Maul transportiert [2; 6; 9]. Die Faultiere haben eine Kopf- Rumpflänge von 50-65 cm und wiegen 4-9 kg. Ihr Kopf ist rund mit nach vorne gerichteten Augen. Ihr Schwanz ist ein kurzer Stummel oder fehlt. Die Gliedmaßen sind lang und schlank, die Vorderbeine länger als die hinteren. Die Zehen sind verwachsen und mit 2 oder 3 sehr langen Krallen versehen. Das Fell ist lang und strähnig und kann eingelagerte Algen enthalten, welche die Tiere grün färben. Faultiere haben ein homodontes Gebiss bestehend aus bis zu 18 Backenzähnen. Sie sind tagaktive, Blätter fressende Baumbewohner, die sich langsam, meist mit dem Rücken nach unten, mit allen vier Extremitäten hangelnd im Geäst bewegen. Sie tragen ihre Jungen auf dem Bauch [2; 9]. Bei den Ameisenbären variiert die Kopf-Rumpflänge je nach Gattung von 16-130 cm, die Schwanzlänge von 16-90 cm und das Gewicht von etwa 500 g bis 35 kg. Der Kopf ist klein mit langer bis extrem langer Schnauze. Zähne fehlen, dafür ist eine sehr lange, wurmförmige Leckzunge vorhanden, mit der Ameisen und Termiten aufgenommen werden. Die Finger sind teilweise verwachsen, und mit langen, sehr kräftigen Krallen versehen. Das Haarkleid ist strähnig und lang, insbesondere beim Großen Ameisenbären (Myrmecophaga tridactyla), dessen Schwanz eine lange, nach unten hängende Haarfahne trägt. Die Tiere tragen ihre Jungen auf dem Rücken. Sie leben entweder am Boden oder auf Bäumen oder sind sowohl terrestrisch als auch arboricol. Wenn sie sich am Boden fortbewegen, laufen sie auf den Handrücken [2; 9]. VerbreitungDie Verbreitung der Nebengelenktiere beschränkt sich auf die Neotropis, also Süd- und Mittelamerika, wobei sich eine Art, das Neunbindengürteltier (Dasypus novemcinctus), bis ins südliche Nordamerika ausgebreitet hat. Haltung im ZooDie Haltung und Zucht der bei uns vertretenen Gürteltier-Arten ist relativ problemlos. Andere Arten, wie etwa das Riesen- (Priodontes maximus) oder das Zwerggürteltier (Zaedyus pichyi) sind dagegen schwieriger, auch wenn Haltungsdauern von über 12 Jahren bekannt sind, und wurden noch nie gezüchtet. Auch der Gürtelmull (Chlamyphorus truncatus), dessen maximale Haltungsdauer mit 4 Jahren und 4 Monaten angegeben wird [7] konnte in Menschenobhut noch nie zur Fortpflanzung gebracht werden. Währenddem Zucht und langfristige Haltung bei Großem und Mittlerem Ameisenbär funktionieren, ist der Zwergameisenbär (Cyclopes didactylus) mit den bisherigen Kenntnissen über die Art kaum über längere Zeit zu halten. Als maximale Haltungsdauer werden 2 Jahre und 3 Monate mitgeteilt [7]. Ähnlich verhält es sich bei den Faultieren, wo die Zweizehenfaultiere erfolgreich gehalten und gezüchtet werden können, das Dreizehenfaultier aber außerhalb Südamerikas bisher nicht. In europäischen Zoos wird rund ein Drittel aller Nebengelenktier-Arten gezeigt. Am häufigsten sind die Zweizehenfaultiere (Choloepus sp.), die in über 130 Zoos zu sehen sind [4; 6; 10]. Mit Ausnahme des Großen Ameisenbären, der auf Freianlagen mit angeschlossenem Winter- und Schlafquartier gehalten und oft mit anderen Vögeln und Säugetieren vergesellschaftet wird, werden Zahnarme in Nachttierhäusern, konventionellen Kleinsäugerhäusern oder in Tropenhallen untergebracht. Die meisten Nebengelenktiere lassen sich mit vielen anderen Tierarten problemlos vergesellschaften, bei manchen Gürteltieren ist jedoch Vorsicht geboten [4]. Taxonomie und Nomenklatur1780 fasste der Tübinger Naturwissenschaftler Gottlieb Conrad Christian STORR die Ameisenbären, Faultiere, Gürteltiere, Schuppentiere und Erdferkel zur Gruppe der Mutici zusammen. Ab 1904 wurden die Schuppentiere und Erdferkel abgetrennt. Die heutige Nomenklatur der Nebengelenktiere ist insofern konfus, als in der klassischen Taxonomie von SIMPSON als Ordnungsbegriff die Bezeichnung Edentata verwendet wurde, und Xenarthra eine Unterordnung darstellten, die den ausgestorbenen Palaeanodonta gegenüber gestellt wurde [5]. Dies hatte bis in die 1990er-Jahre Bestand [8]. Heute gelten die Edentaten unter der Bezeichnung Xenarthra als eine von vier Überordnungen der Höheren Säugetiere und zwar als jene, die sich zuerst von allen anderen, als Epitheria zusammengefassten Taxa getrennt hat [3]. Die von SIMPSON als Teilordnungen [2; 5] der Unterordnung Xenarthra klassierten Cingulata, also die Gürteltiere, und die Pilosa, das heißt die Ameisenbären und Faultiere wurden zu vollen Ordnungen aufgewertet. Entfernte Verwandte der Nebengelenktiere gab es schon in der Kreidezeit. Die heute zu den Nebengelenktieren gehörenden Taxa sind ab dem Paläozän, d. h. seit etwa 60 Millionen Jahren, nachweisbar. Sie erlebten ihre Blütezeit im Tertiär, waren damals über mehrere Kontinente verbreitet, auch in Europa, erreichten aber ihre größte Artenvielfalt in Südamerika. Nach dem Entstehen der mittelamerikanischen Landbrücke im Pleistozän drangen erfolgreichere Säugetiere einschließlich des Menschen nach Südamerika ein und brachten mehrere Familien zum Verschwinden, darunter die Megatheriidae, nahezu elefantengroße, bodenlebende, bis 6 Tonnen schwere Riesenfaultiere, und die Glyptodontidae, Riesengürteltiere, die das Kaliber eines Kleinwagens und ein Gewicht von über 2 Tonnen erreichten und einen starren Panzer hatten, d. h. ohne die bei den heutigen Gürteltieren vorhandenen, beweglichen Gürtel. Die Glyptodonten starben vor etwa 7'500 Jahren aus, die Megatherien überlebten auf Karibischen Inseln möglicherweise bis 1'550 Jahre vor unserer Zeitrechnung [2; 8]. |
Literatur und Internetquellen
- IUCN Red List of Threatened Species. Version 2022-2. Downloaded on 29 January 2023.
- MOELLER, W. & THENIUS, E. (1970). In GRZIMEKs TIERLEBEN
- O'LEARY, M. A., BLOCH, J. I. et al. (2013)
- PUSCHMANN, W., ZSCHEILE, D., & ZSCHEILE, K. (2009)
- SIMPSON, G. G. (1945)
- SUPERINA. M., MIRANDA, F. & PLESE, T. (2008)
- WEIGL, R. (2005)
- WILSON, D. E. & REEDER, D. M. (2005)
- ZISWILER, V. (1976)
- ZOOTIERLISTE