Adulter Bartgeier (Gypaetus barbatus) im Natur- und Tierpark Goldau
© Felix Weber, Rickenbach bei Schwyz
Ordnung: Greifvögel (ACCIPITRIFORMES)
Unterordnung: Habichtartige und Fischadler (ACCIPITRES)
Familie: Habichtartige (Accipitridae)
Unterfamilie: Bartgeierartige (Gypaetinae)
Bartgeier
Gypaetus barbatus • The Bearded Vulture • Le gypaète barbu
- Körperbau und Körperfunktionen
- Verbreitung
- Lebensraum und Lebensweise
- Gefährdung und Schutz
- Bedeutung für den Menschen
- Haltung
- Taxonomie und Nomenklatur
- Literatur und Internetquellen
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Der global potenziell gefährdete, in Europa gefährdete Bartgeier ist eine prioritäre Art für die Artenschutzbestrebungen der Zoos. Aus einem gut funktionierenden Erhaltungspopulation wurden zahlreiche Nachzuchtvögel an erfolgreiche Wiederansiedlungsprojekte abgegeben. Körperbau und KörperfunktionenDer Bartgeier erreicht eine Gesamtlänge von 100-115(-119) cm, eine Flügelspannweite von (240-)266-282 cm und ein Gewicht von 3'690-7'150 g, wobei Weibchen etwas größer und schwerer sind als Männchen. Er weist einige morphologische Besonderheiten auf, die ihn von allen anderen Geiern unterscheiden: Der "Bart", dessen Funktion nicht bekannt ist, kommt bei beiden Geschlechtern vor. Er besteht aus borstenartigen Federn am Ober- und Unterschnabel. Um das Auge verläuft ein auffälliger, dekorativer Skleralring, dessen rote Farbe intensiver wird, wenn der Vogel stark erregt ist. Eine der Vorderzehen ist gegen innen abgewinkelt. Zusammen mit der Hinterzehe bildet sie eine Art Greifzange, mit welcher der Bartgeier geschickt Knochen halten und manipulieren kann. Währenddem die Federn der erwachsenen Vögel an Kopf, Hals, Bauch und Beinen hell gefärbt sind, sind die Jungvögel bis zum Alter von 5-7 Jahren dunkel gefärbt. Solange sie ihr Jugendkleid tragen, werden sie von den Erwachsenen kaum behelligt, wenn sie zur Nahrungssuche in deren Territorium eindringen [2; 4; 8; 13; 14]. Die hellen Gefiederpartien der erwachsenen Vögel sind oft orange-rötlich bis rostrot. Dies hat bereits CONRAD GESNER im 16. Jahrhundert bemerkt, der seine Beschreibung der Art wie folgt einleitet: "Es wirdt in den Schweitzer Alpen ein Geyer gefunden, welchen sie von der roten Brust wegen ein Goldgeyer nennen..." [6]. Wie seit 1927 bekannt ist [11], kommt diese Färbung dadurch zustande, dass die Vögel in eisenoxidhaltigem Schlamm baden. Dabei handelt es sich um eine angeborene Verhaltensweise, deren Zweck bis heute nicht eindeutig geklärt ist. Der Afrikanische Bartgeier (G. b. meridionalis) ist etwas kleiner, hat kürzere Federhosen und eine vom eurasischen Bartgeier etwas abweichende Kopffärbung [7]. VerbreitungDer Bartgeier kommt in über 60 Ländern als Brut- oder Gastvogel oder Durchzügler vor [1].
Lebensraum und LebensweiseDer Bartgeier sucht seine Nahrung im Gebirge hauptsächlich oberhalb der Waldgrenze. In der Schweiz fliegt er im Sommer meist in Höhen von 2'000-3'000 m, im Winter geht er auch in Tallagen. Er ist auf das Verzehren von Knochen spezialisiert, die er dank seinem besonders sauren Magensaft vollständig verdauen kann. Rinderwirbel und Rippen oder Röhrenknochen bis zu einer Länge von 25 cm kann er als Ganzes verschlucken, größere Knochen wirft er im Flug aus einer Höhe von 20 m bis 150 m auf Felsplatten (so genannte Knochenschmieden) ab, auf denen sie zersplittern. Der Horst wird meist in einer geschützten Nische oder auf einem Sims in einer Felswand angelegt. Die Eiablage erfolgt ab Dezember. Das Gelege besteht aus 2 rostbraunen 82x65 mm messenden Eiern, meist kommt aber nur ein Jungvogel hoch. Die Brutdauer beträgt 53-60 Tage, die Nestlingsdauer 106-130 Tage [4; 8; 9; 13; 14]. Gefährdung und SchutzMit einem geschätzten Bestand von 1'300 bis 6'700 erwachsenen Vögeln gilt der Bartgeier weltweit als potenziell gefährdet (Rote Liste: NEAR THREATENED). In Europa ist er gefährdet, gebietsweise ausgestorben [1]. Der internationale Handel ist nach CITES-Anhang II geregelt. Die Art fällt unter Anhang II der Berner Konvention über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume, unter Anhang II der des Bonner Übereinkommens über wandernde Tierarten(CMS) sowie unter Anhang I der Europäischen Vogelschutz-Richtlinie (2009/147/EG). Situation in Mitteleuropa: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts brütete der Bartgeier noch in allen Teilen der Alpen. Dann wurde er selten, wofür die Aufgabe der extensiven Weidewirtschaft und der Zusammenbruch der Wildwiederkäuerbestände ursächlich gewesen sein dürften. Die reduzierten Geierbestände wurden dann relativ schnell ausgerottet, denn je seltener der Bartgeier wurde, umso höhere Preise bezahlten Museen und Privatsammler für tote Vögel. Der ehemalige Oberwärter des Zoo Basel, CARL STEMMLER [16], ein Greifvogelschützer der ersten Stunde, der sich schon früh für eine Wiederansiedlung einsetzte, führt 50 präparierte Bartgeier in öffentlichen Sammlungen der Schweiz auf, von denen mindestens 28 im 19. Jahrhundert in der Schweiz zu Tode gekommen waren. In Deutschland wurde der letzte Bartgeier 1855 in Bayern erlegt, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, dass Bayern seit 1812 hohe Abschussprämien bezahlt hatte. In Österreich erging es dem Bartgeier nicht besser. Die letzte Brut in Oberösterreich wurde 1835 registriert. 1878 sah Kronprinz RUDOLF von HABSBURG noch einen Bartgeier in der Steiermark, wie er Alfred BREHM mitteilte [2]. Hier war die Art schon seit Ende des 18. Jahrhunderts verschwunden. 1880 kam es zur vermutlich letzten Brut in Kärnten. 1881 erhielt der Tiergarten Schönbrunn einen Vogel, der in Pfunds (Tirol) gefangen worden war, und der schließlich seine Karriere im Naturhistorischen Museum Wien beendete. 1882 wurde der letzte Bartgeier im Tirol, 1890 der letzte in Vorarlberg geschossen. Die letzte Beobachtung aus Kärnten datiert von 1906. Einer der letzten Bartgeier der Schweiz, bekannt als «s'alt Wyb» (das alte Weib), hauste einsam in den Lötschentaler Alpen im Wallis, nachdem der bayerische König MAXIMILIAN II. im Jahr 1862 seinen Partner erschossen hatte, und wurde im Winter 1887 vergiftet aufgefunden. Die mutmaßlich letzte Brut in der Schweiz fand 1891 statt, denn zwei im Wallis abgeschossene Altvögel und ein Jungvogel aus diesem Jahr werden heute im Naturhistorischen Museum von Sitten aufbewahrt. Der letzte Vogel der ursprünglichen Population wurde am 3. Dezember 1900 am Mont Chenin ob Martigny (Wallis) erlegt [10; 13; 15]. In den italienischen Alpen (Aostatal) starb die Population 1913 aus, wobei einzelne Individuen auch später noch gesichtet wurden. So hielten sich im Herbst und Winter 1924/25 zwei Vögel im Parco Nazionale Gran Paradiso auf. Zoogestützte Artenschutzprojekte (Beispiele):
Bedeutung für den MenschenBartgeier werden gebietsweise als Sport, zur Gewinnung von Fleisch oder von Körperteilen für die traditionelle Medizin gejagt oder für den internationalen Tierhandel gefangen [1]. Von 2001-2018 gelangten aus den Ursprungsländern 19 Wildfänge in den legalen internationalen Handel, wovon 8 aus Lesotho kamen. Im selben Zeitraum wurden weltweit 69 Nachzuchtvögel bei der Ausfuhr registriert. Wichtigstes Herkunftsland war die Schweiz mit 19 Vögeln [3]. Haltung im ZooBartgeier werden in der Regel paarweise gehalten. Eine Vergesellschaftung mit Schneehasen, Murmeltieren, Raufußhühnern, Steinhühnern, Tannenhähern, Alpenkrähen oder kleinere Vögeln ist möglich und wird praktiziert, z.B. in Goldau, Innsbruck und Nürnberg. Detaillierte Angaben zu Haltung, Fütterung, Zucht, Krankheitsgeschehen und Sterblichkeit finden sich bei DOLLINGER et al. [5]. Bei der Ganzkörperfütterung von Fallwild oder von Wild aus dem Comestibles-Handel kam es wiederholt zu Bleivergiftungen. Es ist daher im Zweifelsfall, besser routinemäßig, röntgenologisch abzuklären, dass die Tierkörper kein bleihaltigen Schrot oder allenfalls Kugelpartikel enthalten [5]. Als Höchstalter werden über 39 Jahre und 5 Monate angegeben, erreicht von einem Vogel im Zoo Dortmund [8]. Haltung in europäischen Zoos: Die Zahl der Haltungen hat in den letzten Jahren etwas abgenommen. Gegenwärtig (2024) wird die Art noch in gegen 50 Zoos gehalten, von denen sich über ein Drittel im deutschsprachigen Raum befinden. Für Details siehe Zootierliste. Die Zoos beteiligen sich alle am Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP, seit 1986), das durch die Universität Wien koordiniert wird. Wie Bartgeier gehalten werden (Beispiele):
Mindestanforderungen an Gehege: 1995 veröffentlichte das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BMELF) Mindestanforderungen an die Haltung von Greifvögeln und Eulen. Diese werden gegenwärtig (November 2024) überarbeitet und sollen als Leitlinien zur Haltung von Greifvögeln (Accipitriformes, Falconiformes) und Eulen (Strigiformes) neu herausgegeben werden. Die Schweizerische Tierschutzverordnung (Stand 01.06.2024) schreibt für 1-2 große Geier eine Voliere mit einer Grundfläche von 60 m² und einem Volumen von 240 m³ vor. Für jeden weiteren adulten Vogel ist die Grundfläche um 15 m² zu vergrößern. Die Vorgängerverordnung sah halb so große Dimensionen vor. Die Erhöhung erfolgte ohne Angabe von Gründen. Für Schauflüge eingesetzte Vögel dürfen nur im nicht öffentlich zugänglichen Bereich der Tierhaltung an der Fessel gehalten werden. Nach der 2. Tierhaltungsverordnung Österreichs (Stand 2024) ist für die Haltung von 1-2 Bartgeiern eine Voliere mit einer Grundfläche von 60 m² bei 3 m Höhe erforderlich. Für jedes weitere Adulttier ist die Fläche um 15 m² zu erweitern. Für die falknerische Haltung gelten besondere Anforderungen. Taxonomie und NomenklaturDer Bartgeier wurde 1758 von Carl von LINNÉ als "Vultur barbatus" erstmals wissenschaftlich beschrieben. Die heute gültige Gattungsbezeichnung Gypaetus wurde 1784 vom Tübinger Professor Gottlieb Conrad Christian STORR eingeführt. Es werden zwei Unterarten anerkannt (siehe unter Verbreitung). Früher wurden die eurasischen Bartgeier (G. b. barbatus) in drei Unterarten (aureus, barbatus und hemachalanus) unterteilt. Alle Bartgeier in europäischen Haltungen gehören der Nominatform an [4]. |
Literatur und Internetquellen
- BIRDLIFE INTERNATIONAL (2017). Gypaetus barbatus (amended version of 2017 assessment). The IUCN Red List of Threatened Species 2017: e.T22695174A118590506. http://dx.doi.org/10.2305/IUCN.UK.2017-3.RLTS.T22695174A118590506.en und (2015) Gypaetus barbatus. The IUCN Red List of Threatened Species 2015: e.T22695174A60116752. Downloaded on 21 October 2019.
- BREHM, A. E. (1882-1887)
- CITES TRADE DATA BASE
- DEL HOYO, J., ELLIOTT, A. & SARGATAL, J., eds. (1999)
- DOLLINGER, P., HELDSTAB, A., ISENBÜGEL, E., MAINKA, S., SCHILDGER, B. & WEBER, F. (2000)
- GESSNER, C. & HEUSSLEIN, R. (1557 / 1600)
- GINN, P.J., McILLERON, W.G. & MILSTEIN, P. le S. (1999)
- GRUMMT, W. & STREHLOW, H. (2009)
- GRZIMEK, B. (Hrsg. 1970)
- GUGGISBERG, C.A.W. (1954/55)
- HEINROTH, O. & M. (1927)
- KAISER, M. (2009)
- MAUMARY, L. et al. (2007)
- PFORR, M. & LIMBRUNNER, A. (1991)
- ROBIN, K., MÜLLER, J.P. & PACHLATKO, T. (2003)
- STEMMLER, C. (1932)