Nutria (Myocastor coypus) im Walter Zoo Gossau
© Peter Dollinger, Zoo Office Bern
Überordnung: EUARCHONTOGLIRES
Taxon ohne Rang: Nagetiere und Hasen (GLIRES)
Ordnung: Nagetiere (RODENTIA)
Unterordnung: Stachelschweinverwandte (Hystricomorpha)
Familie: Biberratten (Myocastoridae) bzw. Stachelratten (Echimyidae)
Unterfamilie: Eigentliche Stachelratten (Echimyinae)
Invasive_Art!
Nutria, Biberratte oder Sumpfbiber
Myocastor coypus • The Coypu • Le ragondin
- Körperbau und Körperfunktionen
- Verbreitung
- Lebensraum und Lebensweise
- Gefährdung und Schutz
- Bedeutung für den Menschen
- Haltung
- Taxonomie und Nomenklatur
- Literatur und Internetquellen
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Die Nutria ist auf der 2016 veröffentlichten Liste invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung aufgeführt und darf danach, wenn es nach der EU-Kommission geht, in Zukunft nicht mehr gehalten werden [7]. Nachdem in Deutschland schätzungsweise 500 Nutrias in zoologischen Einrichtungen gehalten werden, im Jagdjahr 2014/15 aber 19'500 Stück zur Strecke kamen (DJV) ist dieses Haltungsverbot weder verhältnismäßig noch zielführend. Körperbau und KörperfunktionenNutrias erreichen eine Kopf-Rumpf-Länge von 45- 65 cm, eine Schwanzlänge von 30 -45 cm und ein Gewicht von 4-8(-12) kg. Männchen sind etwas größer und schwerer als Weibchen. Die Tiere haben auffällige, bei Erwachsenen orangefarbene Nagezähne, lange, dicke Schnurrhaare und kleine Ohren. Die Schnauze ist stumpf und die Oberlippe gespalten. Die Mundhöhle ist hinter den Nagezähnen verschließbar Die Vorderbeine sind verglichen mit den Hinterbeinen kurz. Vorder- und Hinterfüße sind nicht behaart. Die Vorderpfoten haben einen reduzierten Daumen, die übrigen Finger sind mit starken Krallen versehen, die sich zum Graben eignen An den Hinterfüßen befinden sich zwischen den inneren vier Zehen Schwimmhäute. Der Schwanz ist lang, rund und spärlich behaart. Weiblichen Nutrias haben 4-5 Paar Zitzen. Die Männchen haben große, die Weibchen kleinere Analdrüsen, mit deren Sekret sie ihr Revier markieren. Das Fell besteht aus einer dichten grau-braunen Unterwolle und langen, festen und variabel gefärbten Grannen [2; 4]. VerbreitungSüdliches Südamerika: Argentinien, Bolivien, Süd-Brasilien, Chile, Paraguay, Uruguay. In zahlreichen Ländern auf anderen Kontinenten eingebürgert, wo sich die Art oft invasiv verhält. Sogar in Kenia, Sambia und Tansania gibt es heute wildlebende Populationen [7; 15]. Lebensraum und LebensweiseNutrias leben semiaquatisch und sind an Gewässer gebunden. Sie können sowohl im Salz- als auch im Süßwasser leben. Großflächige Sumpf- und Marschgebiete mit Rohr- und Binsengürteln, reicher Unterwasserflora und klarem Wasser stellen den optimalen Lebensraum dar, geschlossene Waldgebiete werden eher gemieden. Die Tiere sind dämmerungs- und nachtaktiv und verbringen den Tag in Schilfnestern oder in Bauen. Die Baue werden in die Ufer gegraben und haben meist nur eine Röhre, die in der Regel ein bis drei Meter lang ist. Der Eingang befindet sich in der Nähe des Wasserspiegels, jedoch fast immer über Wasser. In Europa und Nordamerika werden auch vorhandene Bisambaue erweitert. Gelegentlich werden größere Bausysteme gegraben. Schilfnester findet man an Land bis zu 80 m vom Gewässer entfernt. Es sind kreisrunde Haufen, mit einer Fläche von etwa 4 m².Nutria sind Pflanzenfresser. Bei der Nahrungssuche entfernt sie sich bis zu 100 m vom Ufer. Die Nahrung besteht hauptsächlich aus Wasserpflanzen, Süßgräsern und Kräutern, im Winter auch aus Wurzeln und Rinde. Gern werden Kulturpflanzen angenommen, z.B. Gemüse, Rüben, Getreide, einschließlich Mais. Eine Ausnahme von der ansonsten rein pflanzlichen Nahrung ist die gelegentliche Aufnahme von Süßwassermuscheln, Amphibien oder Fischen. Nutrias legen keine Vorräte an und leiden deshalb besonders unter strenger, anhaltender Kälte [2; 4; 7]. Im Allgemeinen leben Nutrias paar- oder familienweise, oft aber auch in größeren Kolonien. Sie können sich das ganze Jahr über fortpflanzen und haben im Durchschnitt 5 Junge pro Wurf, es sind jedoch auch Würfe mit bis zu 12 Jungen möglich. Die Tragezeit ist mit 128-132 Tagen für ein Tier dieser Größe relativ lang. Die Jungen haben bei der Geburt ein Gewicht von 175-335 g, sind bereits vollständig behaart und können die Augen öffnen und sogar schwimmen. Sie werden 60-70 Tage gesäugt, nehmen aber schon nach wenigen Tagen feste Nahrung zu sich und sind unter günstigen Bedingungen bereits nach einer Woche in der Lage, ohne ihre Mutter zu überleben. Die Geschlechtsreife tritt bei im Frühjahr geborenen Tieren mit 3-4 Monaten ein [2; 4; 8]. Alfred BREHM hielt nicht allzu viel vom "Schweifbiber". Er schrieb dazu [3]: "Seine geistigen Fähigkeiten sind gering. Er ist scheu und furchtsam und behält diese Eigenschaften auch in der Gefangenschaft bei. Klug kann man ihn nicht nennen, obgleich er seinen Pfleger nach und nach kennen lernt. Alt eingefangene Thiere beißen wie rasend um sich, und verschmähen gewöhnlich die Nahrung, so daß man sie selten länger als einige Tage erhält." Gefährdung und SchutzIn Teilen ihres natürlichen Verbreitungsgebiets ist die Nutria bedroht. Insgesamt ist die Art aber sicher, außerhalb ihrer natürlichen Verbreitung ist sie oft eine Plage. Sie wurde deshalb 2016 als nicht-gefährdet eingestuft (Rote Liste: LEAST CONCERN) [7]. Der internationale Handel wird durch CITES nicht geregelt. Erwerb und Abgabe, Haltung, Zucht, Aufzucht, Transport und Freilassen von Nutria sind nach Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 betreffend invasive Arten verboten. Das ist insofern ein Witz, als die wildlebenden Populationen nicht auf "Zooflüchtlinge" zurückgehen, sondern auf Freisetzungen aus Pelztierfarmen und Privathaltungen, als der Zoobestand sich im Promillebereich der Wildbestände bewegt, und als eher Tiere aus der Wildbahn in den Zoo gelangen, als umgekehrt. So z.B. im Zoo Basel, sowie im Vechte-Altarm im Tierpark Nordhorn, im Tierpark Essehof und im Parc ornithologique du Pont-de-Gau bei Les Saintes-Maries-de-la-Mer, wo ganze Kolonien entstanden sind. Nach Anhang 1 der Jagdverordnung gilt die Nutria in der Schweiz als nicht einheimische Art, deren Einfuhr und Haltung zusätzlich zur veterinärrechtlichen einer jagdrechtlichen Bewilligung bedarf [16]. Bedeutung für den MenschenNutrias wurden in vielen Ländern zur Pelzgewinnung gezüchtet und es bildeten sich zahlreiche freilebende Populationen außerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets in Nordamerika, Europa, Asien und sogar Afrika. Wo es die klimatischen Verhältnisse zulassen, verhalten sich Nutrias invasiv. Sie verursachen nicht nur Schäden an Wasserschutzdämmen der Ufervegetation von Gewässern und landwirtschaftlichen Kulturen, sondern stellen auch eine potenzielle Gefahr für den einheimischen Biber dar. Als unerwünschte Neozoen wurden die Nutrias daher in England und einigen Gebieten der USA (Maryland) sowie im Vorarlberg wieder ausgerottet [2]. Nutrias wurden vermutlich bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach Deutschland eingeführt und ausgewildert, sind dann aber wieder ausgestorben. Zwischen 1880 und 1890 tauchten aus Farmen im Elsass entlaufene Tiere am Oberrhein in Baden auf. Ab 1926 entstanden in Deutschland Nutriazuchten. Bis zum Kriegsende 1945 wurden durchschnittlich 100.000 Felle im Jahr produziert. Entwichenen oder freigelassenen Tieren gelang es freilebende Populationen zu gründen. Da Nutrias empfindlich auf sehr kalte, lange Winter reagieren, erlitten diese wiederholt starke Einbussen, und die Verbreitung der Art blieb inselartig und auf Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen konzentriert. Seit 1963 wurden Nutrias auch in Baden-Württemberg festgestellt. In der DDR erfreute sich die Nutriazucht zunehmender Beliebtheit. 1981 gab es einen Bestand von 188'353 Farmtieren [2]. Nach der Wiedervereinigung wurde die Nutriazucht in Ostdeutschland unrentabel, so dass viele Bestände einfach freigelassen wurden. Im Jahr 2006 wurden bereits aus allen Bundesländern mit Ausnahme von Brandenburg (wo es aber im Einzugsgebiet von Spree und Havel zum Teil sehr große Populationen gibt), Schleswig-Holstein und Bremen Nutriavorkommen gemeldet. Insbesondere in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen kam es zu einer starken Ausbreitung, was sich in einer deutlichen Erhöhung der Jagdstrecken niederschlug. Im Jagdjahr 2018/19 betrug die bundesdeutsche Jagdstrecke 61'953, im Folgejahr 88'197 Stück. Die stärksten Bestände befinden sich im nördlichen Teil Deutschlands in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, insbesondere entlang der niederländischen Grenze, im mittleren Teil Deutschlands in Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen, in Süddeutschland in Baden-Württemberg besonders im Grenzgebiet zu Frankreich. Lediglich in Berlin und Schleswig-Holstein gibt es nur wenige Nutriavorkommen [1; 2; 4; 6: 13]. Dasselbe gilt im Prinzip für die Schweiz und Österreich, wo aber die heutigen klimatischen Verhältnisse eine größere Ausbreitung kaum zulassen. In der Schweiz werden seit 2008 jedes Jahr Abschüsse registriert, am meisten bislang im Jagdjahr 2020/21 mit 45 Stück. Der gegenwärtige Prozess der Ausbreitung wird sich aber im ganzen deutschsprachigen Raum verstärken, wenn es zu einer Klimaerwärmung kommt, da niedrige Wintertemperaturen derzeit der hauptsächliche Begrenzungsfaktor der Ausbreitung sind [5; 14]. HaltungBREHM [3] zitiert WOOD, der erklärt, weshalb die Nutria auch heute noch in Zoos sehr populär ist: "Der Sumpfbiber ist ein schneller und lebendiger Bursche, und höchst unterhaltend in seinem Gebaren. Ich habe seinen spaßhaften Gaukeleien oft zugesehen und mich im höchsten Grade unterhalten über die Art und Weise, mit welcher er seine Besitzung durchschwimmt und dabei jedes Ding, welches ihm als neu vorkommt, aufs genaueste prüft. Sobald man ein Häufchen Gras in sein Becken wirft, nimmt er es augenblicklich in seine Vorderpfoten, schüttelt es heftig, um die Wurzeln von aller Erde zu befreien, schafft es dann nach dem Wasser und wäscht es dort mit einer so großen Gewandtheit, daß eine Wäscherin von Gewerbe es kaum besser machen würde." Nutrias lassen sich z.B. mit Gänsevögeln und verschiedenen Säugetieren vergesellschaften oder in für das Publikum begehbaren Gehegen halten. WEIGL gibt als Altersrekord 8 Jahre und 6 Monate an, erreicht von einem männlichen Tier im Berner Tierpark Dählhölzli [9]. Haltung in europäischen Zoos: Die Art einschließlich Farbmutanten, wird in rund 170 Zoos gehalten, das sind trotz Invasivverordnung der EU, welche die Haltung verbietet, mehr als fünf Jahre zuvor. Im deutschsprachigen Raum liegt die Zahl der Haltungen bei etwa 35, hat wohl etwas abgenommen. Bei den gehaltenen Tieren handelt es sich größtenteils um wildfarbene Exemplare. Es werden aber auch Farbmutanten, etwa weiße, beigefarbene, schwarze oder dreifarbige Tiere, gezeigt. Für Details siehe Zootierliste. Nach Säugetiergutachten 2014 des BMEL werden Nutrias in Außengehegen gehalten. Diese sollen mindestens 8 m² Land- und 4 m² Wasserfläche für ein Paar umfassen, für jedes weitere Tier ist der Landteil um 2 m², der Wasserteil um 1 m² zu vergrößern. Das Wasserbecken soll mindestens 30 cm tief sein. Die Schweizerische Tierschutzverordnung (Stand 01.06.2024) schreibt für bis zu 2 Tieren ein Außengehege mit einem Landteil von 10 m² und einem Wasserbecken von 2 m² Fläche und 0.5 m Tiefe vor. Für jedes weitere Tier ist der Landteil um 1 m² zu vergrößern, eine entsprechende Angabe für das Wasserbecken fehlt. Nach der 2. Tierhaltungsverordnung Österreichs (Stand 2024) sind Nutrias paarweise oder in Gruppen zu halten. Für bis zu 20 Tieren ist eine Außenanlage von 100 m² vorgeschrieben, wovon mindestens 20 m² auf die Wasserfläche entfallen müssen. Das Wasserbecken muss einen Flachwasserbereich enthalten und an der tiefsten Stelle mindestens 0,5 m tief sein. Die Innenboxen müssen mindestens 3 m² groß sein. Taxonomie und NomenklaturDie Nutria wurde 1782 vom italienischen Jesuitenpater und Naturforscher Giovanni Ignazio MOLINA als "Mus coypus" erstmals wissenschaftlich beschrieben. Die heute gültige Gattungsbezeichung Myocastor wurde 1792 vom schottischen Arzt und Wissenschaftsjournalisten Robert KERR im Rahmen einer Übersetzung ins Englische von LINNÉs Systema Naturae eingeführt. Myocastor ist eine monotypische Gattung. Diese wurde traditionell in einer eigenen Familie untergebracht. Neuerdings wird sie als Unterfamilie der Stachelratten angesehen, zu denen z.B. auch die Kuba-Baumratte gehört [10; 11]. |
Literatur und Internetquelle
- BARTEL, M., GRAUER, A., GREISER, G., HEYEN, B., KLEIN, R., MUCHIN, A., STRAUSS, E., WENZELIDES, L. & WINTER, A. (2007)
- BIELA, A. (2008)
- BREHM, A. E. (1882-1887)
- ELLIGER, A. (1997)
- HAUSSER, J. et al. (Hrsg., 1995)
- NEHRING, S. & SKOWRONEK, S. (2017)
- OJEDA, R., BIDAU, C. & EMMONS, L. (2016). Myocastor coypus (errata version published in 2017). The IUCN Red List of Threatened Species 2016: e.T14085A121734257. http://www.iucnredlist.org/details/14085/0. Downloaded on 22 May 2018.
- PUSCHMANN, W., ZSCHEILE, D., & ZSCHEILE, K. (2009)
- WEIGL, R. (2005)
- WILSON, D. E. & REEDER, D. M. (2005)
- WILSON, D. E. et al. eds. (2009-2019)
- Durchführungsverordnung (EU) 2016/1141 der Kommission vom 13. Juli 2016 zur Annahme einer Liste invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung ABl. L 189/4 vom 14. Juli 2016.
- DEUTSCHER JAGDVERBAND
- EIDG.JAGDSTATISTIK
- LONG, J. L. (2003)
- VERORDNUNG ÜBER DIE JAGD UND DEN SCHUTZ WILDLEBENDER SÄUGETIERE UND VÖGEL (JAGDVERORDNUNG, JSV) (Schweiz) vom 29. Februar 1988