Südliche Vikunjastute (Lama vicugna vicugna) mit Fohlen im Zoo Zürich
© Robert Zingg, Zoo Zürich
Überordnung: LAURASIATHERIA
Taxon ohne Rang: CETARTIODACTYLA
Ordnung: Paarzeher (ARTIODACTYLA)
Unterordnung: Schwielensohler (Tylopoda)
Familie: Kamele(Camelidae)
Tribus: Neuweltkamele (Lamini)
Vikunja
Lama vicugna • The Vicuna • La vigogne
- Körperbau und Körperfunktionen
- Verbreitung
- Lebensraum und Lebensweise
- Gefährdung und Schutz
- Bedeutung für den Menschen
- Haltung
- Taxonomie und Nomenklatur
- Literatur und Internetquellen
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Das Vikunja ist nicht nur eine höchst ansprechende Tierart, die sich mit anderen Arten vergesellschaften und somit attraktiv präsentieren lässt. Vielmehr ist es ein Beispiel dafür, wie sich die Nutzungskonzepte für Wildtierarten im Lauf der Zeit gewandelt haben, und daher aus zoopädagogischer Sicht sehr interessant. Dank einem internationalen Zuchtbucht und einem Europäischen Erhaltungszuchtprogramm ist die Zoopopulation in stetem Wachstum begriffen. Körperbau und KörperfunktionenVikunjas erreichen eine Kopf-Rumpflänge von rund 125 -190 cm, eine Schwanzlänge von 15-25 cm, eine Schulterhöhe von 85-90 (70-110) cm und ein Gewicht von 38-45(-50) kg. Tiere aus dem Süden des Artareals sind im Mittel 15% größer und schwerer als solche aus dem Norden. Wie alle Kamelartigen haben die Vikunjas eine gespaltene und sehr bewegliche Oberlippe, einen langen, dünnen Hals, lange schlanke Beine, an den Füßen jeweils nur zwei Zehen, die nicht in Hufen, sondern in gebogenen Nägeln enden, und bindegewebige Sohlenpolster. Der Kopf ist kürzer als beim Guanako. Die unteren Schneidezähne wachsen, wie bei den Nagetieren ständig nach. An Halsansatz und Vorderbrust haben die Tiere eine 20-35 cm lange Mähne. Das oberseits hellbraune, an Brust, Bauch und Innenseite der Beine weiße Fell ist sehr fein und dicht. Die Wollhaare haben einen Durchmesser von nur 11-14 μm [3; 8; 12]. Als Anpassung an das Leben in großer Höhe verfügt das Vikunja über ein sehr leistungsfähiges Herz-Kreislaufsystem. Das Herz ist, im Verhältnis zur Körpermasse sehr groß und sehr stark durchblutet. Zudem hat das Blut ein hohes Sauerstoff-Bindungsvermögen [12]. VerbreitungAnden Südamerikas: Argentinien, Bolivien, Chile, Peru, wiedereingeführt in Ekuador [5]. Lebensraum und LebensweiseLebensraum des Vikunjas sind die Puna und der Altiplano in Höhenlagen von 3'200-5'000 m. Wichtige Nahrungsgründe sind die "Bofedales" oder "Vegas" genannten hochgelegenen Moorlandschaften. Je nach Region beweiden Vikunjas praktisch ausschließlich Wiesen mit Gräsern wie z.B. Panicum, Distichlis, Festuca oder Calamagrostis und Riedgräsern, oder sie verbeißen Sträucher. Sie benötigen Zugang zu offenem Wasser. Sie leben in Familiengruppen, meist bestehend aus einem Hengst und 3-4 Stuten mit ihrem Nachwuchs, in Junggesellenherden oder als Einzelhengste. Sie sind recht standorttreu. Eine Familie benötigt ein Streifgebiet von rund 18 (2-54) ha, das vom Hengst als Territorium überwacht und verteidigt wird [5; 12]. Nach einer Tragzeit von im Mittel 345 (310-365) Tagen wird in der Regel ein einzelnes Fohlen mit einem Geburtsgewicht von 6 (5-8) kg geworfen. Die meisten Geburten fallen im natürlichen Areal in die Monate Juli-Oktober. Die Fohlen werden etwa 6 Monate gesäugt. Die Geschlechtsreife tritt bei Stuten meist mit rund 2 Jahren ein, bei Hengsten mit 3-5 Jahren [8; 12]. Gefährdung und SchutzBis 1996 galt das Vikunja als gefährdete Tierart, seitdem wird es, letztmals überprüft 2018, als nicht gefährdet eingestuft. Heute umfasst sein Bestand über eine halbe Million Individuen in fünf Ländern und ist damit gesichert (Rote Liste: LEAST CONCERN) [5]. Die Art fällt unter CITES-Anhang I mit Ausnahmen für bestimmte Wollprodukte. Die Art ist nach Anhang II und mit Ausnahme der Peruanischen Population auch nach Anhang I des Bonner Übereinkommens über wandernde Tierarten geschützt. Bedeutung für den MenschenWirtschaftliche Bedeutung: Die Inkas nutzten und schützen die Vikunjas. Dem einfachen Volk war die Jagd verboten. Zu bestimmten Zeiten wurden offizielle Treibjagden veranstaltet, bei denen die Tiere gefangen, geschoren und die meisten danach wieder freigelassen wurden. Geschlachtet wurden in der Regel nur überzählige Hengste. Nach der Landnahme durch die Konquistadoren wurden die Vikunjas stark verfolgt und die Bestände brachen während der 300 Jahre dauernden spanischen Herrschaft zusammen. Dies veranlasste Simon BOLIVAR 1825, d.h. schon bald nach ihrer Unabhängigkeit, für Peru und Bolivien ein Gesetz zum Schutz der Vikunjas zu erlassen, das allerdings nicht sehr wirksam war. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die traditionelle Methode der Inkas zur Wollgewinnung wiederbelebt, bei der die Tiere nicht getötet, sondern eingefangen und lebend geschoren wurden. Im Jahr 1969 unterzeichneten die Andenstaaten einen Staatsvertrag zum Schutz des Vikunjas, der 1979 durch die heute noch gültige Regelung (Convenio sobre la Conservación y Manejo de la Vicuña) ersetzt wurde. Heute werden in Peru etwa 60% der Vikunjas nachhaltig bewirtschaftet, was einen Wollertrag von rund 5 Tonnen und einen Verkaufserlös von etwa 2.3 Millionen USD pro Jahr bringt. Bolivien exportierte 2017 2.5 Tonnen Wolle nach Italien und nahm dadurch 900'000 USD ein. Die Erlöse kommen überwiegend der indigenen Bevölkerung zugute [3; 5]. Nebst Rohwolle exportierten die Ursprungsländer auch Stoffe, Kleider und andere verarbeitete Erzeugnisse sowie Wissenschaftsmaterial. Von 1977-2017 wurden zwecks Wiederansiedlung gegen 200 lebende Wildfänge innerhalb Südamerikas verschoben. Ein Verweis auf die Ausfuhr von 4 Tieren im Jahr 1980 nach Deutschland ist falsch, die letzte Ausfuhr nach Europa erfolgte 1971 [2]. HaltungSeit 1969 gibt es ein Internationales Zuchtbuch (ISB), das am Zoo Zürich geführt wird und 274 lebende Tiere in 78 Institutionen außerhalb der Ursprungsländer umfasst [Daten bis 01.01.2018 nach Zuchtbuchführer]. Von 1946 bis 1971 wurden aus den Heimatländern in die Zoos der Welt 69 Vikunjas exportiert. Vor allem diese Importe steigerten den Bestand von 11 Vikunjas im Jahre 1945 auf 59 im Jahre 1985. Nur 4 Hengste und 8 Stuten (darunter ein besonders wichtiges Paar, das 1949 von Argentinien in den Zoo Zürich kam), die zwischen 1949 und 1971 aus Südamerika importiert wurden, begründeten die heutige gesunde Zoopopulation, die 88% der genetischen Vielfalt der Art repräsentiert und einen durchschnittlichen Inzuchtkoeffizient von 0,12 aufweist. Von 1946-2018 wurden 1'095 Vikunjas ausserhalb der vier (bzw. fünf) Heimatländer geboren. Das jährliche Populationswachstum durch Geburten betrug bis 1985 0,2%, steigerte sich seit Beginn des EEPs aber auf 5,9%! In manchen Zoos werden Vikunjas mit anderen Arten vergesellschaftet, so z.B. mit Großem Ameisenbär, Viscacha, Capybara, Tapir, Nandus, Halsband-Wehrvogel, Seriema oder Waldstorch [8]. WEIGL gibt als Höchstalter ungefähr 21 Jahre für eine im Londoner Zoo gehaltene Wildfang-Stute an [10], effektiv sind es aber 31 Jahre und 7 Monate für einen in Antwerpen geborenen und in Paris gestorbenen Hengst. Haltung in europäischen Zoos: Die Art wird in rund 80 Zoos gehalten, von denen sich über ein Viertel im deutschsprachigen Raum befinden. Für Details siehe Zootierliste. Das seit 1985 bestehende Europäische Erhaltungszuchtprogramm (EEP) wird vom Zoo Zürich koordiniert. Dieser hat mit weit über 100 Jungtieren die weltweit erfolgreichste Vikunjazucht. Interessant ist, dass die hauptsächliche Geburtssaison in der Nordhemisphäre von August bis Oktober sich gegenüber derjenigen in der Südhemisphäre um genau sechs Monate verschoben hat. Sogar in der 6. Zoogeneration werden 79% aller Jungtiere vormittags geboren – genau wie im Freiland, wo diese Geburtszeit überlebenswichtig ist [9]. Wie Vikunjas gehalten werden (Beispiel): Forschung im Zoo: Vikunjas sind gelegentlich Gegenstand von Forschung oder forschendem Lernen im Zoo, etwa von Arbeiten, die darauf abzielen, die Haltungsbedingungen zu optimieren [6; 7]. Mindestanforderungen an Gehege: Nach dem Säugetiergutachten 2014 des BMEL soll für 6 Vikunjas ein Außengehege von 300 m² vorhanden sein und soll für jedes weitere Tier die Fläche um 25 m² erweitert werden. Sofern ein Stall angeboten wird, soll die Fläche mindestens 2 m² pro Tier betragen. Das Säugetiergutachten gibt vor, dass Kameliden in kleinen Gruppen zu halten sind. Um Aggressionen und Kämpfe zu vermeiden, dürfe nur 1 erwachsenes Männchen pro Gruppe (Einmännchen-Vielweibchen-Gruppe) gehalten werden. Tatsächlich gibt es aber beim Vikunja nebst Haremsgruppen die aus einem Hengst und meist 3-5 Stuten und deren Nachwuchs bestehen auch Junggesellenverbände von bis zu 155 Tieren sowie solitär lebende Hengste. Im Rahmen des EEP werden mehrere kleine Junggesellengruppen gehalten. Die Vorgabe des Gutachtens ist also falsch. Die Schweizerische Tierschutzverordnung (Stand 01.06.2022) schreibt für 6 Vikunjas ein Gehege von 300 m² und für jedes weitere je 50 m² zusätzlich, sowie pro Tier einen Unterstand oder einen Stallplatz von 2 m² vor. Die 2. Tierhaltungsverordnung Österreichs (Stand 2023) verlangt für 5 Vikunjas eine Mindestgehegefläche von 800 m² und für jedes weitere 80 m² zusätzlich. Es ist ein Unterstand mit einer Fläche von 2 m² pro Tier anzubieten. Taxonomie und NomenklaturDas Vikunja wurde 1782 von dem italienischen Jesuiten und Naturforscher Giovanni Ignazio MOLINA unter der Bezeichnung "Camelus vicugna" erstmals wissenschaftlich beschrieben. Später kam es in die 1800 vom französischen Naturforscher und Direktor der Ménagerie von Paris, Georges CUVIER, aufgestellte Gattung Lama. 1842 stellte es der französische Arzt und Naturforscher René Primevère LESSON in die monotypischen Gattung Vicugna. Dies war jedoch nicht unumstritten, viele Autoren führten es in derselben Gattung wie das Guanako, also Lama und zeitweilig Auchenia, was in Anbetracht, dass die beiden Arten fruchtbare Hybriden hervorbringen, nachvollziehbar ist. Im Handbuch der Säugetiere läuft es wieder unter Vicugna [1; 3, 4; 12]. Aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen kamen Taxonomen 2006 zum Schluss, dass das Nördliche Vikunja (Vicugna vicugna mensalis) die Stammform des Alpakas sei. Allerdings waren im Genmaterial der untersuchten Alpakas häufig auch vom Guanako stammende Elemente zu finden, was auf eine bedeutende Hybridisierung von Alpaka und Lama hinweist. Diese war in jüngster Zeit besonders stark, hat sicher aber auch schon früher stattgefunden [11]. |
Literatur und Internetquellen
- BREHM, A. E. (1882-1887)
- CITES TRADE DATA BASE
- GRZIMEK, B. (Hrsg. 1970)
- HONACKI, J.H., KINMAN, K.E. & KOEPPL, J.W. (1982)
- ACEBES, P., WHEELER, J., BALDO, J. et al. (2018). Vicugna vicugna (errata version published in 2019). The IUCN Red List of Threatened Species 2018: e.T22956A145360542. https://dx.doi.org/10.2305/IUCN.UK.2018-2.RLTS.T22956A145360542.en. Accessed on 23 January 2023.
- MÜNCHAU, B. (1980)
- PICHLER, C. (2009)
- PUSCHMANN, W., ZSCHEILE, D., & ZSCHEILE, K. (2009)
- SCHMIDT, C.R. (2008)
- WEIGL, R. (2005)
- WHEELER, J. C., CHIKHI, L. & BRUFORD, M. W. (2006)
- WILSON, D. E. et al. eds. (2009-2019)
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