Schmutzgeier

Schmutzgeier (Neophron percnopterus) im Alpenzoo Innsbruck
© Alpenzoo

Ordnung: Greifvögel (ACCIPITRIFORMES)
Unterordnung: Habichtartige und Fischadler (ACCIPITRES)
Familie: Habichtartige (Accipitridae)
Unterfamilie: Bartgeierartige (Gypaetinae)

D EN 650

EEPSchmutzgeier

Neophron percnopterus • The Egyptian Vulture • Le percnoptère

213 003 048 001 neophron percnopterus wien dZupanc2Schmutzgeier (Neophron p. percnopterus) im Tiergarten Schönbrunn © Daniel Zupanc / TG Schönbrunn (Pressefoto)

213 003 048 001 neophron percnopterus mapApproximative Verbreitung des Schmutzgeiers (Neophron p. percnopterus). Dunkelblau: Brutareal (Zugvögel); orange: Jahresvögel; gelb: Winterquartiere

213 003 048 001 neophron percnopterus bourbansais PD1Noch nicht voll umgefärbter Schmutzgeier (Neophron p. percnopterus) im Zoo de la Bourbansais, Pleugueneuc © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

213 003 048 001 neophron percnopterus bourbansais PD2Schmutzgeier (Neophron p. percnopterus) im Zoo de la Bourbansais, Pleugueneuc © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

213 003 048 001 neophron percnopterus erkheim PD1Schmutzgeier (Neophron percnopterus gingianus) im ehemaligen Tierpark Erkheim © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

213 003 048 001 neophron percnopterus sciez PD1Schmutzgeier (Neophron p. percnopterus) in Les Aigles du Léman, Sciez (Hochsavoyen) © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

213 003 048 001 neophron percnopterus marlow pdSchmutzgeier (Neophron percnopterus gingianus) im Vogelpark Marlow © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

213 003 048 001 neophron percnopterus stesMaries PD1Schmutzgeier-Paar (Neophron p. percnopterus) im Parc ornithologique du Pont-de-Gau, Les Saintes-Maries-de-la-Mer © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

213 003 048 001 neophron percnopterus wien ChristianKunzSchmutzgeier-Weibchen (Neophron p. percnopterus) mit Jungtier im Tiergarten Schönbrunn © Christian Kunz / TG Schönbrunn (Pressefoto)

213 003 048 001 neophron percnopterus zrhSchmutzgeier (Neophron p. percnopterus) am Nest im Zoo Zürich © Zoo Zürich

213 003 048 001 neophron percnopterus wien dZupanc1Schmutzgeier (Neophron p. percnopterus) im Tiergarten Schönbrunn © Daniel Zupanc / TG Schönbrunn (Pressefoto)

213 003 048 001 neophron percnopterus kintz PD1Schmutzgeier (Neophron p. percnopterus) in der Volerie des Aigles, Kientzheim (Elsass) © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

213 003 048 001 neophron percnopterus kintz PD2Schmutzgeier (Neophron p.percnopterus) in der Volerie des Aigles, Kientzheim (Elsass) © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

213 003 048 001 neophron percnopterus gesnerSchmutzgeier (Neophron percnopterus) aus Conrad Gesners Vogelbuch

 

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Der Schmutzgeier ist eine kleine, in der Natur stark gefährdete Geierart, die auch in Europa vorkommt. Für Zoos ist sie interessant, weil sie die Möglichkeit bietet, sich an Wiederansiedlungsprojekten zu beteiligen, weil die Vögel im Altertum kulturell bedeutsam waren und weil sie zum Öffnen von Straußen- und anderen Eiern, die sie als Nahrung nutzen, Steine als Werkzeuge einsetzen. Sie wird deshalb relativ oft gezeigt.

Körperbau und Körperfunktionen

Der Schmutzgeier erreicht eine Gesamtlänge von 58-70 cm, eine Flügelspannweite von 155-170(-180) cm und ein Gewicht von etwa 2'200 (1'600-2'400) g. Unterschiede in Größe und Gewicht zwischen den Geschlechtern sind unerheblich.

Die Vögel haben einen langen, schmalen Schnabel. Dieser ist gelb und hat bei der Nominatform eine schwarze Spitze. Die unbefiederte Haut an Gesicht und Kehle ist gelb. An Kopf und Hals befinden sich weiße, kranzartige Büschel lanzettförmiger Federn. Der Schwanz hat 14 Steuerfedern und ist keilförmig. Bis auf die schwarzen Schwingen ist das Gefieder erwachsener Vögel weiß, bei Jungvögeln ist es braun [6; 9; 10; 11; 12].

Verbreitung

Der Schmutzgeier kommt in 106 Ländern oder abhängigen Gebieten als Brutvogel, Gast oder Durchzügler vor. Manche Populationen sind stationär, andere sind Zugvögel. In zwei Unterarten in Eurasien und Afrika:

  • N.p. percnopterus: Brütet von Südeuropa bis Zentralasien, Arabien und Nordwest-Indien, Nordafrika, Sahel, Ostafrika und Nordwest-Namibia. Auch auf den Kanaren, Kapverden und Sokotra. Ausgestorben in Südafrika, wo 1923 in der Transkei die letzte Brut festgestellt wurde.
  • N. p. ginginianus: Indien und Nepal.
    [2; 8].

Lebensraum und Lebensweise

Der Schmutzgeier besiedelt offene Landschaften, hauptsächlich in trockenen Gebieten, wie Wüsten, Steppen oder Buschland. Im Gebirge geht er in Äthiopien bis auf 4'500 m, in Indien bis auf 2'600 m. Er ist ein Kulturfolger, geschlossene Wälder werden gemieden.

Zu seiner Nahrung gehören nebst toten Tieren aller Art auch Exkremente, was zum Namen Schmutzgeier führte. Laut BREHM bildet "Menschenkoth" regional gar seine wichtigste Nahrungskomponente. Auch fängt er Ratten, Mäuse, kleine Vögel, Eidechsen und andere Reptilien sowie Heuschrecken und plündert Vogelnester mit Eiern. Mit Hilfe von Steinen ist er in der Lage, Straußeneier zu öffnen.

Zum Brüten ist er auf felsiges Gelände angewiesen. Das Nest baut er aus Reisern, Gras, Knochen, Papier und Lumpen oder anderen Abfällen auf Felsen, Gebäuden oder Bäumen. Das Gelege besteht aus 2 (1-3) weißen bis schokoladebraunen, 66x50 mm großen Eiern, die vom ersten Ei an während ca. 42 Tagen bebrütet werden. Die Jungvögel werden mit 10-12 Wochen flügge [3; 6; 9; 11; 12].

Gefährdung und Schutz

Die Bestände des Schmutzgeiers haben massiv abgenommen und umfassen nun insgesamt noch zwischen 12'000 und 36'000 erwachsene Individuen. Die Art gilt daher seit 2007, letztmals überprüft 2021, als stark gefährdet, die langsamer abnehmende europäische Population mit etwa 3'500-4'000 Brutpaaren als gefährdet (Rote Liste: ENDANGERED / VULNERABLE) [2].

Der internationale Handel ist nach CITES-Anhang II geregelt. Die Art fällt unter Anhang 2 der Berner Konvention über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume und Anhang 2 des Bonner Übereinkommens über wandernde Tierarten (CMS).

Situation in Europa: Auf der Iberischen Halbinsel und Menorca leben etwa 1'400-1'600 Brutpaare. Dies sind 75 % des europäischen Bestandes (ohne Türkei). Bis etwa 1890 brüteten jährlich ein bis zwei Paare am Mont Salève (F), wenige Kilometer von Genf. Dieses Vorkommen wurde durch Abschuss und regelmäßiges Eiersammeln ausgelöscht [13].

Im Lauf des 20. Jahrhunderts verschwanden auch die Brutpopulationen in Südfrankreich, jedoch haben sich die auch durch Zoos unterstützten Wiederansiedlungsprogramme für Mönchs- und Gänsegeier auch für den Schmutzgeier positiv ausgewirkt (Futterstellen). Seit 1986 brütet die Art daher wieder im Departement Lozère. In den 1990er Jahren gab es in Frankreich bereits wieder 67 Brutpaare, der aktuelle Bestand wird auf 80-90 Paare geschätzt. Im deutschsprachigen Raum ist der Schmutzgeier nach wie vor ein seltener Gast [1; 11].

Zoogestütztes Artenschutzprojekt (Beispiel):

  • In den Balkanländern ist die Situation für den Schmutzgeier dramatisch. In den vergangenen 30 Jahren ist sein Bestand dort um mehr als 80 Prozent zurückgegangen, und es nur noch 70 Brutpaare übrig. 2017 wurde daher das Wiederansiedlungsprojektes „Egyptian Vulture – New Life Project“ gestartet. Dafür stellte der Tiergarten Schönbrunn im Frühjahr 2019 einen 2018 im Tiergarten geschlüpften Schmutzgeier zur Verfügung, der in den östlichen Rhodopen, einem bewaldeten Gebirge an der Grenze zu Griechenland, ausgewildert wurde [PM Tiergarten Schönbrunn 05.03.2019].

Bedeutung für den Menschen

Der Schmutzgeier war im Altertum für die Mittelmeervölker von erheblicher kultureller Bedeutung. In der ägyptischen Hieroglyphenschrift stand er für den Buchstaben Aleph (A). BREHM schreibt dazu: "Unter allen Mitgliedern der Gruppe hat kein einziger eine so große Berühmtheit erlangt wie der Schmutzgeier, der seit uralter Zeit bekannte und beschriebene Koth- oder Maltesergeier, der Racham, Alimosch, die »Henne der Pharaonen«, und wie er sonst noch benamset worden sein mag. Er ist es, dessen Bildnis die altegyptischen Bauwerke zeigen, welcher von den alten Egyptern und den Hebräern als Sinnbild der Elternliebe gefeiert wurde und heutigen Tages noch wenigstens keine Mißachtung auf sich gezogen hat" [3].

Von 2001-2018 gelangten aus den Ursprungsländern 62 Wildfänge in den legalen internationalen Handel, davon die Hälfte aus Tansania. Im selben Zeitraum wurden weltweit 118 Nachzuchtvögel bei der Ausfuhr registriert. Davon wurden 100(!) im Jahr 2013 von Oman nach Kuwait verschoben [4].

Haltung im Zoo

Nach BREHM werden jung eingefangene Schmutzgeier sehr zahm, folgen zuletzt ihrem Pfleger wie ein Hund auf dem Fuße nach und begrüßen ihn mit Freudengeschrei, sobald er sich zeigt. Auch alt gefangene gewöhnen sich bald ein und sind ausdauernde Pfleglinge [3]. Als Höchstalter werden 39 Jahre und 9 angegeben, erreicht von einem Vogel im Tiergarten Schönbrunn [9].

Haltung in europäischen Zoos: Der Schmutzgeier, hauptsächlich seine Nominatform, wird bei negativem Trend in über 80 zoologischen Einrichtungen gehalten, von denen sich gegen 20 im deutschsprachigen Raum befinden. In Frankreich, wo die Art auch freilebend vorkommt, ist er etwas häufiger anzutreffen. In Für Details siehe Zootierliste.

Das seit 2002 bestehende Europäische Zuchtbuch wurde in ein Erhaltungszuchtprogramm (EEP) umgewandelt, das vom Zoo Prag koordiniert wird.

Wie Schmutzgeier gehalten werden (Beispiel):

  • Zogg-Troller Voliere für Alpenvögel im Alpenzoo Innsbruck - siehe ZOOLEX Gallery

Mindestanforderungen an Gehege: 1995 veröffentlichte das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BMELF) Mindestanforderungen an die Haltung von Greifvögeln und Eulen. Diese werden seit Jahren überarbeitet und sollen als Leitlinien zur Haltung von Greifvögeln (Accipitriformes, Falconiformes) und Eulen (Strigiformes) neu herausgegeben werden.

Die Schweizerische Tierschutzverordnung (Stand 01.06.2024) schreibt für 1-2 kleine Geier eine Voliere mit einer Grundfläche von 30 m² und einem Volumen von 90 m³ vor. Für jeden weiteren adulten Vogel ist die Grundfläche um 10 m² zu vergrößern. Die Vorgängerverordnung sah halb so große Dimensionen vor. Die Erhöhung erfolgte ohne Angabe von Gründen. Für Schauflüge eingesetzte Vögel dürfen nur im nicht öffentlich zugänglichen Bereich der Tierhaltung an der Fessel gehalten werden.

Nach der 2. Tierhaltungsverordnung Österreichs (Stand 2024) ist für die Haltung von 1-2 Schmutzgeiern eine Voliere mit einer Grundfläche von 30 m² bei 2.5 m Höhe erforderlich. Für jedes weitere Adulttier ist die Fläche um 10 m² zu erweitern. Für die falknerische Haltung gelten besondere Anforderungen.

Taxonomie und Nomenklatur

Der Schmutzgeier war bereits im 16. Jahrhundert vom Zürcher Stadtarzt Conrad GESSNER unter dem Titel "Ein frömbd Adlergeschlächt/mag ein Geyradler genannt werden. Gypaetus, Percnopterus." beschrieben worden [7]. Im Rahmen der binominalen Nomenklatur wurde er erstmals von Carl von LINNÉ als "Vultur Perenopterus" [sic] beschrieben. Die heute gültige Gattungsbezeichnung Neophron geht auf den französischen Naturforscher Marie Jules César Lelorgne de SAVIGNY (1809) zurück, der als Teil einer wissenschaftlichen Expedition Napoléon Bonaparte auf seinem Ägypten-Feldzug begleitet hatte. Der Schmutzgeier bildet eine monotypische Gattung mit zwei oder drei Unterarten [4; 5].

213 003 048 001 neophron percnopterus wien dZupancSchmutzgeier (Neophron p. percnopterus) mit Ei im Tiergarten Schönbrunn © Daniel Zupanc / TG Schönbrunn (Pressefoto)

Literatur und Internetquellen

  1. BEZZEL, E. (1985)
  2. BIRDLIFE INTERNATIONAL (2021). Neophron percnopterus. The IUCN Red List of Threatened Species 2021: e.T22695180A205187871. https://dx.doi.org/10.2305/IUCN.UK.2021-3.RLTS.T22695180A205187871.en . Accessed on 16 June 2023.und (2021) Neophron percnopterus (Europe assessment). The IUCN Red List of Threatened Species 2021: e.T22695180A166295484. https://dx.doi.org/10.2305/IUCN.UK.2021-3.RLTS.T22695180A166295484.en. Accessed on 16 June 2023.
  3. BREHM, A. E. (1882-1887)
  4. CITES TRADE DATA BASE
  5. DEL HOYO, J., COLLAR, N., CHRISTIE, D.A., ELLIOTT, A. & FISHPOOL L.D.C. (2014)
  6. DEL HOYO, J., ELLIOTT, A. & SARGATAL, J., eds. (1999)
  7. GESSNER, C. & HEUSSLEIN, R. (1557 / 1600)
  8. GINN, P.J., McILLERON, W.G. & MILSTEIN, P. le S. (1999)
  9. GRUMMT, W. & STREHLOW, H. (2009)
  10. GRZIMEK, B. (Hrsg. 1970)
  11. MAUMARY, L. et al. (2007)
  12. PFORR, M. & LIMBRUNNER, A. (1991)
  13. STEMMLER, C. (1932)