Auerochse

Heckrind-Bulle (Bos primigenius †) im Tierpark Hellabrunn
© Peter Dollinger, Zoo Office Bern

Überordnung: LAURASIATHERIA
Taxon ohne Rang: CETARTIODACTYLA
Ordnung: Paarzeher (ARTIODACTYLA)
Unterordnung: Wiederkäuer (Ruminantia)
Unterfamilie: Echte Rinder (Bovinae)
Tribus: Rinder i. e. S. (Bovini)

D EX 650

Auerochse oder Ur † - Heckrind

Bos (Bos) primigenius† • The Aurochs† • L'aurochs†

119 009 002 006 bos primigenius hanau PD2Heckrind-Stier (Bos primigenius†) im Wildpark Alte Fasanerie, Klein-Auheim © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

119 009 002 006 bos primigenius map jaktorowDas letzte Vorkommen des Auerochsen (Bos primigenius†) im Wald von Jaktorów, Woiwodschaft Masowien

119 009 002 006 bos primigenius monument jaktorowDas Denkmal für den letzten Auerochsen (Bos primigenius†) im Wald von Jaktorów © Meteor2017 auf Wikimedia Commons. Veröffentlicht unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license

119 009 002 006 bos primigenius MUC PD1Heckrind-Kuh (Bos primigenius†) mit Kalb im Tierpark Hellabrunn © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

119 009 002 006 bos primigenius lauenbrueck PD1Heckrind-Stier (Bos primigenius†) im LandPark Lauenbrück © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

119 009 002 006 bos primigenius hanau PD3Heckrind-Herde (Bos primigenius†) im Wildpark Alte Fasanerie, Klein-Auheim © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

119 009 002 006 bos primigenius neandertal PD1Heckrind-Herde (Bos primigenius†) im Eiszeitlichen Wildgehege Neandertal. © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

119 009 002 006 bos primigenius MUC CZHeckrind-Bulle (Bos primigenius†) im Tierpark Hellabrunn © Carsten Zehrer

119 009 002 006 bos primigenius schwarzach PD1Farblich noch nicht dem Auerochsen entsprechender Taurus-Bulle (Bos primigenius†, Chianina x Sayaguesa) im Wildpark Schwarzach © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

119 009 002 006 bos primigenius schwarzach PD2Taurus-Kuh (Bos primigenius†, Chianina x Sayaguesa) im Wildpark Schwarzach © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

119 009 002 006 bos primigenius gesnerDer Auwerochß oder Uristier in Conrad GESNER's Thierbuch, 1553

119 009 002 006 bos primigenius augsburg"The Wild Ox, Bos Urus". Abbildung aus HAMILTON-SMITH (1826).

119 009 002 006 bos primigenius aarauAuerochsenschädel (Bos primigenius) im Naturama Aaarau © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

119 009 002 006 bos primigenius uristierDer Auerochse - mit Nasenring - im Wappen des Kantons Uri

 

Weitere Bilder auf BioLib.cz

Der Auerochse ist der Urahn des Hausrinds, der vor etwa 8'000 Jahren in den Haustierstand überführt wurde. In Zoos werden "rückgezüchtete" Auerochsen gezeigt - effektiv auerochsenähnliche Hausrinder, die sogenannten "Heckrinder", die ursprünglich zur Zeit des Dritten Reiches mit germanisch-völkischem Gedankengut als Hintergrund geschaffen wurden, heute aber ideologiefrei zoopädagogischen Zwecken dienen.

Körperbau und Körperfunktionen

Der Auerochse war ein mächtiges Wildrind, dessen Bullen eine Kopf-Rumpflänge bis zu 310 cm eine Schulterhöhe von 175-185 cm und ein Gewicht von 800-1'000 kg aufwiesen und bis zu 80 cm lange Hörner hatten. Die Kühe waren um etwa ein Viertel kleiner und leichter und auch ihre Hörner waren kürzer.

Das Fell war im Sommer kurz und glatt, im Winter dicht, fast lockig. Die Farbe der europäischen Population war bei den Bullen schwarzbraun mit hellem Aalstrich, weißem Ring um Kinn und Muffel sowie hellen Krauslocken auf der Stirn. Die Kühe waren braun, im Winterkleid dunkler, selten schwarz, die Kälber rotbraun. Die beste bildliche Wiedergabe ist das aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammende berühmte „Augsburger Urbild“, das von dem englischen Zoologen HAMILTON-SMITH bei einem Augsburger Antiquar „entdeckt“ wurde; das Original ist seitdem wieder verschollen [4; 6].

Ehemalige Verbreitung

Paläarktis und Indien: Der Auerochs hatte eine sehr weite Verbreitung, in den Laubwäldern und Grasländern Eurasien von Großbritannien und Südschweden bis Korea, auf dem Indischen Subkontinent und in Afrika nördlich der Sahara [10]. Aus Spanien und Südfrankreich ist die Art durch steinzeitliche Höhlenmalereien, etwa aus dem Abrigo del Prado del Navazo bei Albarracín in Aragonien oder der Höhle von Lascaux im französischen Département Dordogne, belegt [5], und aus vielen Ländern gibt es Knochenfunde.

Lebensraum und Lebensweise

Vermutlich bevorzugte der Auerochse feuchtere Lebensräume als der Wisent, wie Sümpfe, Sumpfwälder, Flusstäler- und -deltas, kam aber wohl auch in trockeneren Wäldern und Parklandschaften vor, sodass sich die Verbreitung der beiden Arten überlappte. Man nimmt an, dass er in kleinen Herden lebte, bestehend aus einem Bullen und mehreren Kühen mit deren Nachwuchs. Brunftzeit war im August und September, nach einer Tragzeit von ca. 9 Monaten wurde im Mai oder Juni die Kälber geboren [4; 10].

Aussterben und "Rückzüchtung"

Aussterben: Fragmentierung der Lebensräume, Bejagung und Konkurrenz durch domestizierte Rinder führten zum Aussterben des Auerochsen überall, wo die menschliche Bevölkerung eine gewisse Dichte erreichte. Auf dem indischen Subkontinent starb der Auerochse bereits vor mehreren Tausend Jahren aus, im Mittelmeerraum in der Antike.

Am längsten hielt er sich in den dünn besiedelten Gegenden Germaniens, Ost- und Nordeuropas. GAIUS IULIUS CAESAR führt den Auerochsen als Bestandteil der Fauna des "Hercynischen Waldes", also der Region von den Alpen bis zum Harz, auf: "Tertium est genus eorum, qui uri appellantur. Hi sunt magnitudine paulo infra elephantos, specie et colore et figura tauri. Magna vis est eorum et magna velocitas; neque homini neque ferae, quam conspexerunt, parcunt " ("Die dritte Gattung sind diejenigen, die Ure genannt werden. Diese sind hinsichtlich Größeetwas kleiner als Elefanten und haben die das Aussehen, die Farbe und die Gestalt eines Stieres. Ihre Stärke ist groß und [auch] ihre Geschwindigkeit ist groß; Sie verschonen weder Menschen noch wilde Tiere, die sie erblickt haben." De Bello Gallico 6,28,1).

Wohl zwischen 1231 und 1243 erkoren die Landleute von Uri den Auerochsen zu ihrem Wappentier. Zu Beginn der Neuzeit war er aber aus dem Süden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bereits verschwunden, denn der Zürcher Gelehrte Conrad GESNER (1516-1565) kannte ihn nicht mehr aus eigener Anschauung. Die Abbildung in Gesner's Thierbuch ist aus den kurz zuvor (1549) erschienenen Rerum Moscoviticarum Commentarii des Freiherrn Siegmund von HERBERSTAIN abgekupfert [4; 6; 9; 10].

Seine letzten Rückzugsgebiete fanden die Auerochsen in Osteuropa, namentlich in Ostpreußen, Polen und Litauen, wo sie "an gewissen Orten fast wie in einem Tiergarten gehalten und gepflegt" wurden. Die allerletzte Herde lebte im heute nicht mehr existierenden Wald von Jaktorów im Herzogtum Masowien südlich von Warschau. Obwohl unter dem Schutz des Landesherrn, nahm ihr Bestand laufend ab, und 1627 starb die letzte Kuh. Damit galt der Auerochse ausgestorben [4; 5; 10]. Aufgrund eines Knochenfunds auf dem Stadtgebiet von Sofia aus dem Jahr 2020 wird heute jedoch angenommen, dass im Zentral-Balkan eine Auerochsen-Population bis in die zweite Hälfte des 17. oder die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts überlebt hat [14].

"Rückzüchtung": Lutz und Heinz HECK, die ehemaligen Direktoren des Berliner Zoos und des Tierparks Hellabrunn stellten sich jedoch auf den Standpunkt, der Ur sei nicht ausgestorben, da sein Erbgut im Hausrind weiterlebe. Durch Kreuzung geeigneter Rassen und strikte Selektion der Nachkommen müsse es möglich sein, die ursprüngliche Wildform zurück zu züchten. Damit stellten sie sich in Gegensatz zu namhaften Zoologen und insbesondere zu ihren Kollegen aus dem Internationalen Zoodirektorenverband. Das focht die Gebrüder Heck aber nicht an, unverdrossen machten sie sich ans Werk und begannen in Berlin und München mit unterschiedlichen Hausrindrassen ihren Rückzüchtungsversuch. Tatsächlich gelang es ihnen, aus Korsischen Landrindern, spanischen und französischen Kampfrindern, ungarischen Steppen-, englischen Park- und schottischen Hochlandrindern ein Rind herauszuzüchten, das verschiedene typische Merkmale in sich vereinigte, das allerdings die Körpergröße des ursprünglichen Auerochsen nicht erreichte. 1938 wurden die ersten Tiere in der Rominter Heide ausgesetzt, 1942 auch im Urwald von Bialowieza, ferner in der Schorfheide. Diese Populationen haben aber den Zweiten Weltkrieg nicht lange überlebt.

Da die "Rückzüchtung" des Auerochsen im Dienst der nationalsozialistischen Ideologie erfolgt war, distanzierten sich der Internationale Zoodirektorenverband und der Verband Deutscher Zoodirektoren im Jahr 1951 explizit davon. Heute besteht Einigkeit, dass die "Heckrinder" keine Auerochsen sind, sondern eine neue Haustierform, die einen gewissen Eindruck von der Gestalt des Wildrindes geben. Ab 1996 wurde versucht, das Heckrind durch die Einkreuzung weiterer Rassen (Chianina, Lidia, Sayaguesa) der Vorstellung des Auerochsen noch ähnlicher zu machen. Diese Weiterzüchtung wurde "Taurusrind" genannt. Mittlerweile gibt es verschiedene Organisationen, die solche Zuchten betreiben und es gibt fließende Übergänge zwischen Taurus- und Heckrind [2; 4; 5; 6; 8].

Haltung

Die Haltung von Heckrindern soll illustrieren, wie der Auerochse, ein ehemals wichtiges Element der europäischen Fauna ausgesehen hat. Im zoopädagogischen Unterricht können sie herangezogn werden, um Fragen der Ausrottung von Tierarten, der Domestikation, der Genetik und der Reservatspflege zu erörtern. Es gibt einen Verein zur Förderung der Auerochsenzucht (VFA) e.V., der ein internationales Zuchtbuch führt. Dieses existiert seit 1980 und wurde ursprünglich vom Tierpark Berlin herausgegeben. In seiner ersten Auflage umfasste es 88 Tiere in 17 Haltungen in 4 Ländern [13].

Haltung in europäischen Zoos: Heckrinder sind in Wildparks sehr beliebt und werden europaweit in über 60 Parks gezeigt, von denen sich zwei Drittel im deutschsprachigen Raum befinden. Für Details siehe Zootierliste. Ferner werden sie zur extensiven Grünlandnutzung oder zur Landschaftspflege in Naturschutzgebieten eingesetzt, so z.B. im Unteren Odertal [11], in der Lippeaue und im Naturschutzgebiet Stilleking bei Lüdenscheid [8] oder im Pentezug-Wildpferdreservat des Hortobagy-Nationalparks [12].

Mindestanforderungen an Gehege: Das Säugetiergutachten 2014 ist auf Heckrinder nicht anwendbar. In der Schweiz und in Österreich gelten theoretisch die Anforderungen für Hausrinder. Hilfreicher sind die Merkblätter der Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. über Ganzjährige Freilandhaltung von Rindern (Merkblatt Nr. 85) und Kugelschuss auf der Weide als Betäubungs- / Tötungsverfahren zur Schlachtung von Rindern (Merkblatt Nr. 136).

Taxonomie und Nomenklatur

Der Auerochse ist die Wildform des Hausrinds und gehört somit derselben Art an, die von Carl von LINNÉ 1758 als Bos taurus bezeichnet wurde. 1827 führte der aus dem Elsass stammende Zoologe Ludwig Heinrich von BOJANUS für die Wildform den Namen Bos primigenius ein. 1958 wurde vorgeschlagen, dass grundsätzlich der Name der Wildform Vorrang vor dem Namen der Haustierform haben soll, was, wie im vorliegenden Fall, der Prioritätsregel widerspricht, wenn das Haustier vor dem Wildtier beschrieben wurde. 2003 legte die Internationale Nomenklaturkommission Bos primigenius als offiziellen Namen fest [1; 3; 10].

Es wird davon ausgegangen, dass es drei Unterarten gab:

  • Bos p. primigenius BOJANUS, 1827 in Eurasien
  • Bos p. mauretanicus (THOMAS, 1881) in Nordafrika
  • Bos p. namadicus (FALCONER, 1859) in Indien

119 009 002 006 bos primigenius hanau PD1Heckrind-Kalb (Bos primigenius†) im Wildpark Alte Fasanerie, Klein-Auheim © Peter Dollinger, Zoo Office Bern

Literatur und Internetquellen

  1. BOHLKEN, H. (1958)
  2. DOLLINGER, P. (Red. 2012)
  3. GROVES, C.P. & GRUBB, P. (2011)
  4. GRZIMEK, B. (Hrsg. 1970)
  5. HECK, L. (1952)
  6. HEDIGER, H. (1931)
  7. IULIUS CAESAR, C. (1944)
  8. NRW-STIFTUNG
  9. SCHMIDT, P. (1976)
  10. TIKHONOV, A. (2008). Bos primigenius. The IUCN Red List of Threatened Species 2008: e.T136721A4332142. http://www.iucnredlist.org/details/136721/0. Downloaded on 12 June 2018.
  11. VÖSSING, A. & BERG, T. (2010)
  12. ZIMMERMANN, W. (2005)
  13. ZUCHTBUCH (1980)
  14. BOEV, Z. (2022)