Zootiere betrachten ihr Gehege nicht als Gefängnis, sondern als ihr Territorium, das sie, wie in der Wildbahn auch, markieren und verteidigen.
Hier Europäischer Braunbär (Ursus arctos arctos) an Markierbaum im JuraParc Mont d'Orzeires bei Vallorbe
© Peter Dollinger, Zoo Office Bern
Wer Tiere hält, muss sie entsprechend ihrer Art und ihren Bedürfnissen angemessen ernähren, pflegen und sie verhaltensgerecht unterbringen*. Um das zu tun, muss man wissen, was sie brauchen, was ihre elementaren Grundbedürfnisse sind. Diese Grundbedürfnisse ergeben sich aus der Notwendigkeit der Selbsterhaltung. Freiheit ist kein Bedürfnis von Tieren. Sie ist grundsätzlich auch in der Natur stark eingeschränkt. Gründe dafür sind der (im Vergleich zum Menschen geringere) Grad der Cerebralisation sowie viele endogene und exogene Faktoren. In Menschenobhut gehaltene Tiere brauchen aber in jedem Fall Gehege, die so eingerichtet und gestaltet sind, dass sie darin alle ihre Grundbedürfnisse befriedigen können, und die ihrem Verhalten angemessen Rechnung tragen.
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GrundbedürfnisseUm als Individuen und als Art zu überleben, müssen Tiere
Es besteht in dieser Hinsicht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem Leben im natürlichen Lebensraum und dem Leben im Zoo, wenn man einmal davon absieht, dass die Tiere sehr rasch lernen, dass sie im Zoo sicher vor Fressfeinden sind. Brauchen die Tiere Freiheit?Tiere haben keine abstrakte Vorstellung davon, was "Freiheit" ist. Viele ihrer Handlungsweisen sind durch Reflexe diktiert, das Tier hat in diesen Fällen also gar keine Wahlfreiheit. Dies ist umso ausgeprägter, je geringer der Grad der Cerebralisation der betreffenden Art ist. Wird in Zusammenhang mit Zootieren von "Freiheit" gesprochen, geht es in der Regel um die freie Wahl des Aufenthaltsorts, die im Zoo offensichtlich durch die Gehegebegrenzung beschränkt ist. Dem als Gefängnis verstandenen Zoogehege wird die "goldene Freiheit" gegenübergestellt, die das Tier in der Natur genießen soll. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung sind die Tiere aber auch im natürlichen Lebensraum nicht "frei", sondern ihre Bewegungsfreiheit ist, wie im Zoo, Einschränkungen unterworfen: In der Natur sind Tiere Teile von Ökosystemen, d.h. es bestehen Wechselwirkungen zwischen dem Tier und seiner belebten und unbelebten Umwelt. Im Zuge der Evolution haben sich Arten herausgebildet, die unterschiedlichste Lebensräume nutzen können. Manche haben sich soweit spezialisiert, dass sie eine bestimmte ökologische Nische optimal besetzen können, in anderer Umgebung aber nicht überlebensfähig sind (stenöke Arten). Andere wiederum sind Generalisten (euryöke Arten), die unterschiedliche Biotope innerhalb einer Ökozone, oder sogar unterschiedliche Ökozonen besiedeln können. Entsprechend der Anpassungsfähigkeit einer Art ist auch ihr Verbreitungsgebiet, das Areal unterschiedlich: Ein Beispiel für eine stenöke Art ist der Koala, der nur in subtropischen Wäldern leben kann, wo bestimmte Eukalyptusarten vorkommen, die er als Nahrung braucht. Ein noch viel kleineres Areal von nur wenigen Quadratkilometern hat der Bergbilchbeutler (Burramys parvus) aus Südostaustralien, der nur in mit Büschen bestandenem Geröllfeldern in 1500 bis 1800 Metern Seehöhe lebt. Eine euryöke Art ist z.B. der Wolf, der sämtliche auf der Karte gezeigten Ökozonen mit Ausnahme der immerfeuchten Tropen besiedelt. Stenöke Arten stellen auch im Zoo spezifischere Ansprüche als euryöke Arten. So muss ein Koala mit Eukalyptusblättern gefüttert werden und er braucht eine frostfreie Umgebung. Der Wolf dagegen frisst von frischtoten Tieren über Hundekuchen bis zu Gammelfleisch und Eiern so ziemlich alles, zur Abwechslung noch ein paar Früchte, und er toleriert Temperaturen von etwa -35ºC bis +35 ºC. In ihrem Lebensraum bewegen sich Tiere nicht frei und regellos. Vielmehr haben sie ein Aufenthalts- oder Streifgebiet (Home Range), in dem sie alles vorfinden müssen, was sie zum Leben und für die Fortpflanzung brauchen und das sie ihne Not nicht verlassen. Die Größe von Streifgebieten kann durch physische Barrieren oder als Folge einer hohen Populationsdichte stark eingeschränkt sein [7]. Im Westen des Kantons Genf, wo eine große Wildschweinpopulation lebt und zahlreiche Verkehrsträger die Landschaft durchschneiden, haben die einzelnen Rotten Streifgebiete von nur 1.4 bis 2.5 km², im benachbarten Frankreich dagegen sind es gebietsweise bis 60 km². Nahrungs- oder Wassermangel kann die Tiere zwingen, saisonal einen anderen Einstand aufzusuchen oder großräumige Wanderungen zu unternehmen, wobei sie festen Routen folgen. Bekannt sind z.B. die jahreszeitliche Wanderung der Gnus und Zebras im Serengeti/Masai-Mara-Gebiet oder die Wanderrouten der Zugvögel. Aufenthaltsgebiete, die dauernd oder während einer bestimmten Jahreszeit von Tieren gegen Artgenossen verteidigt werden, nennt man Territorien. Territorien können gebildet werden von einem Einzeltier, einem Paar oder einer Gruppe. Territorien können dazu dienen, die Nahrungsgrundlage sicherzustellen, in diesem Fall sind sie in der Regel permanent, oder aber sie dienen saisonal der Fortpflanzung (z.B. Brutterritorien von Vögeln) und werden anschließend aufgegeben. Im Folgejahr wird meistens versucht, wieder dasselbe Territorium zu besetzen. Innerhalb des Territoriums werden keine fremden Artgenossen geduldet, wenn man davon absieht, dass sich Territorien von Männchen- und Weibchen überlappen können (z.B. beim Luchs). Dadurch wird das theortisch bewohnbare Areal stark parzelliert, das einzene Tier wird zum Gefangenen seiner Nachbarn. Der Mangel an freien Territorien führt bei permanent territorialen Arten zu einer hohen Sterblichkeit bei den unabhängig werdenden Jungtieren, die von ihrer Mutter nicht mehr geduldet werden, denn es können nur so viele Tiere überleben, wie Territorien vorhanden sind. Die Jungtiere müssen unter Umständen weit wandern, bis sie ein freies Territorium finden. Dabei laufen sie Gefahr von Territoriumsbesitzern getötet zu werden, zu verunfallen oder zu verhungern. Dienen Territorien nur der Fortpflanzung, so limitieren sie die Zahl der Individuen, die sich fortpflanzen können. Innerhalb ihres Territoriums sind die Tiere einem "Raum-Zeit"-System unterworfen, d.h. sie suchen bestimmte Örtlichkeiten (Fixpunkte) zu bestimmten Zeiten auf. Fixpunkte können sein z.B. Bau oder Schlafnest, Tränke, Bad, Sandbad, Suhle, Aussichtspunkte, Markierpunkte etc. Die Fixpunkte sind durch feste Wege, sogenannte Wechsel verbunden, die regelmäßig benützt werden. Auch ein Zoogehege enthält solche Fixpunkte, die von den Tieren durch Wechsel erschlossen werden [1]. In sehr kleinen Gehegen kann das Wechselsystem auf eine Ellipse oder eine Acht reduziert sein, auf der die Tiere ihr Laufpensum absolvieren. Das sieht in jedem Fall unschön aus und kann sich zu einer zwanghaften Stereotypie auswachsen, der durch Beschäftigung zu begegnen ist [5]. Das Raum-Zeitsystem kann sehr starr sein und die Wahlfreiheit des Tieres, was es wann tun will, stark einschränken. So sind z.B. die Aktivitätsphasen des Dachses mit dem Sonnenauf- und -untergang korreliert. Man kann auf 15 Minuten genau sagen, wann ein Dachs seinen Bau verlässt und wann er wieder einfährt [4; 6]. Bei Vögeln ist das Zugverhalten angeboren: ob ein Vogel zieht, wann bei ihm die Zugunruhe einsetzt und meistens auch in welche Richtung er zieht, ist genetisch festgelegt [2]. Schließlich darf man auch nicht vergessen, dass menschliche Aktivitäten den Lebensraum der wild lebenden Tiere immer mehr einengen. Ihre "Freiheit" wir durch den Bau immer neuer Verkehrsträger, durch den durch Siedlungsbau bedingten Lanschaftsschwund und landwirtschaftliche Monokulturen immer mehr eingeschränkt. Viele Großtiere sind mit Forstwirtschaft, Landbau oder der Haltung von Nutztieren nicht kompatibel. Aus diesem Grund ist das Vorkommen des Rothirschs in den meisten deutschen Bundesländern auf behördlich festgelegte Rotwildbezirke beschränkt. Gebiete außerhalb dieser Bezirke - in Bayern z.B. 86 % der Landesfläche - sind per Gesetz "rotwildfrei zu machen und zu halten" [3]. In Südafrika sind aus dem selben Grund die allermeisten Nationalparks, Provinzparks und anderen Schutzgebiete eingezäunt worden. Frei lebende Löwen gibt es im ganzen Land keine mehr und auch Elefanten nur ganz wenige. In den eingezäunten Reservaten müssen die Tierbestände intensiv gemanagt werden: es werden Tiere zwecks Wiedereinbürgerung oder Bestandesstützung eingesetzt, überzählige Tiere werden entweder eingefangen und an andere Reservate oder in den Tierhandel abgegeben oder aber abgeschossen und verwertet, oder es wird, etwa bei Löwen, Empfängnisverhütung praktiziert. Die Abgrenzung zwischen Freiland und Zoo verwischt sich so immer mehr. Wann ist eine Haltung tiergerecht?Eine Haltung ist dann tiergerecht, wenn sie die Anpassungsfähigkeit der Individuen nicht überfordert; überforderte Anpassungsfähigkeit äußert sich in Störungen des Verhaltens, in chronischem Stress, in morphologischen Schäden und in chronischen somatischen Dysfunktionen [8]. |
Literatur und Internetquellen
- ALTHAUS, T. (1994)
- BERTHOLD, P., GWINNER E. & SONNENSCHEIN, E. (Eds., 2003)
- DEUTSCHE WILDTIER-STIFTUNG
- HEDIGER, H. (1961)
- HEDIGER, H. (1965)
- NEAL, E. (1986)
- RUMER, B. (2016)
- STAUFFACHER, M. (1993)
* Die hier verwendete Terminologie entspricht jener der Tierschutzgesetze der deutschsprachigen Länder, Ethologen sprechen in diesem Zusammenhang eher von "Ansprüchen" oder "Bedarf"
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